Passende Illustrationen, eine kurze Einführung zum Verfasser runden das mustergültige Bild ab

Carsten Kuhr, www.phantastik-news.de

Wo wären wir ohne die Kleinverlage? Von A wie Atlantis bis W wie Wurdack, mittendrin S wie Sieben sind sie es, die die Flamme der Anthologien und Kurzgeschichten-Sammlungen noch hochhalten.
Wer also die kurze Erzählung goutiert, ja bevorzugt, der wird zwangsläufig auf die engagierten Verleger der Szene treffen.
Wie immer wenn Alisha Bionda ruft, haben sich durchaus namhafte Autoren gemeldet und unter der Vorgabe, dass es sich um phantastische Winterlegenden handeln solle, ihre Stories eingereicht.
Winter, was für Assoziationen werden da wach – Schnee natürlich, Eis, klirrende Kälte und mitten drin das Grauen, die existentielle Furcht, die lähmende Panik. Das Gebotene hat nichts gemein mit Winterromantik einer Kutschfahrt - natürlich wohlgewärmt unter dicken Decken - oder einen Abend vor dem prasselnden Kamin bei Bratapfel und Glühwein. Hier geht es um Unbegreifliches, um Furchterregendes, um Phantastisches. Zehn Geschichten fanden Aufnahme in diesem Band. Jeder der Erzählungen wurde eine passende Illustration vorangestellt, zudem rundet eine kurze Einführung zum Verfasser das mustergültige Bild ab.

Zum Inhalt: Andrea Gunschera berichtet uns in „Der Winterfalke“ von einer Königstochter, die, kaum ist ihr Vater beerdigt, von ihrem Onkel als politisches Geschenk einem anderen Herrscher übergeben werden soll. Sie, die einst als Jungenersatz aufgezogen wurde, die ihre Freiheit über alles liebt, soll in einem Harem ihr Leben verbringen. Auf dem winterlichen Weg in die Gefangenschaft wird ihre Karawane überfallen – doch nicht etwa Marodeure oder Banditen stecken hinter dem Angriff, sondern die das Gebirge bewohnenden Falken schlagen zu ...
Inhaltlich zwar nicht eben neu, dafür aber atmosphärisch sehr gelungen beschreibt uns die Autorin die Gefühlswelt ihrer Protagonistin sehr gut nachvollziehbar.

Nicolaus Equiamicus versetzt uns in seinem Beitrag „Der dunkle Wald“ ins Jahr 1637. Zwei Späher sollen versuchen, eine Fluchtmöglichkeit für die von den französischen Truppen eingekesselten Überlebenden zu finden. Vom Hunger geplagt stoßen sie auf ein fast verlassenes Dorf im tiefen Wald. Es gilt, den Fluch einer ermordeten Hexe zu brechen ...
Sehr stimmungsvoll hat der Autor die Verzweiflung der hungernden Soldaten, die sich in einer aussichtslosen Stellung befinden, eingefangen.

Ascan von Bargen entführt den Leser in „La Serenissima“ nach Venedig. Vor dreihundert Jahren wurde die Eiskönigin gebannt. Nun muss der Bann des Roten Priesters erneuert werden und ein unschuldiges Opfer gefunden werden...
Mit viel Gespür für das Setting der winterlichen Lagunenstadt und einem überraschenden Schluss präsentiert sich in diesem Beitrag eines der Highlights des Bandes.

Tanya Carpenters„Feenkatzen“ greift die Sagen um die Asen auf. Loki ist einmal mehr unterwegs und sorgt für Unruhe. Seinen Intrigen ist es zu verdanken, dass der Frühling nicht kommt. Dass er sich dabei der gestaltwandelnden Feenkatzen bedient und ihm die Liebe zupass kommt, vermindert seine Schuld nicht eben ...
Tanya Carpenter erzählt einmal mehr eine ergreifende Liebesgeschichte voller großer Gefühle und berichtet uns einfühlsam von ihren Protagonisten.

Wolfgang Hohlbeins „Die Begegnung“ entführt uns auf ein Kreuzfahrtschiff, das mitten im Winter vor der südamerikanischen Küste kreuzt. Die Niederländerin Karen scheint den Traummann ihres Lebens gefunden zu haben, bis dieser überraschend mit ihr bricht. An Deck nähert sich ihr ein Mitglied der Besatzung, und nur dem Eingreifen eines mysteriösen Fremden ist zu verdanken, dass nichts schlimmes passiert ...
In der kürzesten Erzählung des Bandes kommt leider kaum Stimmung oder Faszination auf.

Bernd Rümmeleins „Die Winterjagd“ hat mich überrascht. Sein großes Epos „Kryson“ war mir persönlich zu langatmig aufgezogen, hier beweist er, dass er es viel besser kann. Er berichtet uns von einem Vampir, der gefangengesetzt wird, und dem es letztlich gelingt zu fliehen. Dabei ist sowohl die Schilderung der Ergreifung des Bluttrinkers, als auch dessen Befreiung nicht einmal so wichtig – stattdessen gelang es Rümelein, mich mit seiner überzeugenden Zeichnung des Nosferatu als mörderische Bestie zu fesseln.

Alf Leue entführt uns in „Torrbjörn und die Rache des Axvalla Tings“ nach Schweden. Björn Dalsson hat es zu Ansehen und Wohlstand gebracht. Jetzt scheint sein Plan, den örtlichen See trockenzulegen und als fruchtbares Ackerland zu nutzen, endlich aufzugehen. Doch die Seegeister haben etwas gegen die Pläne einzuwenden ...
Eine Geistergeschichte erwartet den Leser. Mit viel Gespür für Land und Leute berichtet uns der Autor einfühlsam von dem Geschehen.

In Aino Laos „Der Teufelskreis“ kommt ein Tierarzt mitten im Winter auf dem Weg zu einem abgelegenen Hof vom Weg ab. Als er im Krankenhaus wieder zu sich kommt, hört er eine engelsgleiche Stimme ... Eine Geschichte, die geschickt Romantik mit einer zauberhaften Stimmung verbindet.

Andreas Gruber legt dann mit „Northern Gothic“ nicht nur die einzige Novelle, sondern auch die beeindruckendste Geschichte des Bandes vor. Der Privatdetektiv Jericho Moses Fischer wird von der Tochter eines angesehenen Malers engagiert herauszufinden, wo ihr Vater und ihre Mutter in den vergangenen Wochen waren. Während die Mutter weiterhin verschollen ist, kam der Vater zurück und zerstörte in einem Anfall geistiger Umnachtung, so zumindest die offizielle Begründung, einen Großteil seiner Bilder. Sein Galerist, der sich auf die Suche nach der Vermissten begab, folge kurz darauf seinem Beispiel und zerhackt die restlichen Gemälde, bevor auch er in der Psychiatrie ruhiggestellt wurde. Die Spur führt zu einem vergessenen Ort voller inzestuöser und religiöser Opfer – doch wer sind hier die Opfer und wer die Täter? Das ist Gruselmaterial par excellence. Was als packende Detektivgeschichte beginnt, das driftet zusehends in eine intensive Beschreibung religiösen Wahns ab und besticht durch beeindruckend intensive Bilder.

Carola Kickers „Niemandland“ schließlich beendet die Anthologie im Wagen einer Zigeunerin in Rumänien. Im Angesicht des drohenden Todes durch die hungrigen Wölfe offenbart die alte Roma ihrer Enkelin ihr Geheimnis ...
Winterlandschaft, klirrende Kälte - in kaum einer anderen Erzählung findet sich die winterliche Vorgabe so adäquat umgesetzt, wie hier.