Marlies Eifert - Buchrezicenter, August 2007

Der Vampir von Düsseldorf

Marlies Eifert - Buchrezicenter, August 2007

Das Covermotiv (von Mark Freier) des neunten Bandes der „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ zeigt zwei Gesichter: ein attraktives kantiges 'männliches' Gesicht, dem man Willenskraft und Ausstrahlung buchstäblich ansieht und ein anderes etwas verschwommen im Hintergrund eingeblendet: breiter, leicht depressiv wirkend, schattenhafter.
Es handelt sich bei dem einen von beiden mit einiger Sicherheit um Peter Kürten, Vampir von Düsseldorf.
Ganz deutlich wird: Auch die Namen haben Aussagekraft. Peter Kürten klingt nach Durchschnitt, Unauffälligkeit, Mick Bondye deutet auf eine starke exzentrische Persönlichkeit.
Und genau dies bestätigt sich im Verlauf der Handlung. Peter Kürten ist der unscheinbare, hilfsbereite Nachbar im mausgrauen Anzug, also ein Herr Jedermann.
Das wäre an und für sich nicht unbedingt von Nachteil. Wenn dieser Peter Kürten mit einem Dasein als Kleinbürger einverstanden gewesen wäre. Aber das ist er nicht Er kann sich nicht sehen, und zwar im wörtlichen Sinn.
Wenn gesagt wird: Er vermeidet es, in den Spiegel zu sehen: „Er drehte sich weg.“(S.49), so ist das eine charakteristische Geste. Er will sein Gesicht nicht sehen. Er leidet an der Bedeutungslosigkeit, an der muffigen Enge, an der Dominanz seiner Frau, die er nicht begehrt, von der er es aber kaum erträgt, als Versager bezeichnet zu werden. Da war bereits in der Kindheit niemand, der ihn 'aufgebaut' hätte, Armut und ein gewalttätiger Vater haben Spuren hinterlassen.
Leitmotivisch wiederholt sich das Gefühl der Demütigung. Verletzung, Demütigung, Aggressivität, ein Teufelskreis, aus dem schwer herauszukommen ist. Verletzung, Demütigung erfährt Peter Kürten vor allem immer dann, wenn er sich einer schönen Frau nähert, die ihn nicht beachtet oder allenfalls von oben herab ansieht.
Eine letzte Steigerung von Demütigung dieser Art ergibt sich, als er 1929 – noch als Mensch - den grünen Augen Dilaras begegnet. Sie bezeichnet ihn im Vorbeigehen als komischen kleinen Mann. Die Stigmatisierung ist nun endgültig: Er hasst sich, er hasst die ganze Menschheit. Und er wird zum berüchtigten Mörder Düsseldorfs Ende der zwanziger Jahre. Am 2.Juli 1931 wird er hingerichtet. Aber er erfährt den 'Kuss der Verdammnis' und existiert als Vampir weiter.

Der Autorin Alisha Bionda, der man den Erzählteil um Peter Kürten wohl zuordnen muss, ist es gelungen, das Profil eines Psychopathen zu entwickeln, dem man innerhalb der Schattenchronik eine Sonderstellung zugestehen muss. Peter Kürten mordet nicht nur, weil er die vampirübliche Nahrung und den vampirüblichen Genuss sucht. Er mordet aus Selbsthass und aus ungerichtetem irrationalem Rachebegefühl. Diese Rache wird auffälligerweise nicht an denen verübt, die Ursache der Verletzungen sind. Ziele seiner irrationalen Exzesse sind 'Unschuldige', Frauen, Kinder...
Anders als bei den bisher bekannten Vampiren der Schattenchronik liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung der Erlebniswelt Kürtens während seines Menschseins. Als Vampir setzt er lediglich fort, was er vorher angefangen hatte: Nach wie vor ist das Mordmotiv Hass. Die zweite Begegnung mit Dilara, nun als Vampir, im Jahr 2007, ist letztendlich eine Wiederholung der ersten. Wieder bezeichnet sie ihn als komischen, kleinen Mann. Wieder ist er hilflos der Demütigung ausgesetzt, wieder erfährt eine Frau – nicht Dilara selbst- die Auswirkungen seines Hasses .

Ueberraschend gut gelingt die Einbindung der Kürten-Handlung in die allgemeine Dilara – Handlung.
Peter Kürten wird zum wesentlichen Baustein des Chinesen Lee Khan, der als Todfeind der westlichen Clans insbesondere Dilara und ihrer Anhänger verfolgt.
Er glaubt, den Hass Peter Kürtens nutzen zu können, um ihn zum Mörder an Dilara werden zu lassen.
Aber dieser Plan gelingt eben so wenig wie der Versuch, Dilara und ihren Partner Calvin mittels des 'Seelentors' unschädlich zu machen.
Peter Kürten reagiert völlig anders als vom Leser und von Lee Khan erwartet...

Die Kürten- Handlung endet mit dem 9. Band. Nicht so die Kämpfe um die Vorherrschaft unter den Vampiren nach dem Tod von Antediluvian, dem Fürsten der Nosferati. Sie werden sich auch im folgenden Band fortsetzen. Die Freilassung des Blutsaugers Demiurgos lässt Unheil erwarten.
Auch die unmotivierte Verstimmung zwischen Dilara und Calvin, nachdem sie gemeinsam einer gefährliche Situation ausgesetzt waren, weist auf Fortsetzung. Eine Macht ist – vielleicht – im Spiel, die in der Lage ist, Gefühle zu beeinflussen.

So ist die Handlung um den Vampir von Düsseldorf eingebunden in die 'Chronik' der Vampirgruppe Nosferati

Fazit:

Besonders beeindruckend ist für mich das Psychogramm der Titelgestalt. Mögen die Szenen um die 'Alten', der Aufenthalt Dilaras und Calvins im 'Seelentor' spannend- anschauliche Abschnitte enthalten, sie bleiben für mich neben der Handlung um Peter Kürten Randerscheinung.
Eine derart ausführliche Berücksichtigung psychosozialer Momente bringt eine neue Tonart in die Serie, der man auf jeden Fall eine Fortsetzung wünschen würde.