Marlies Eifert - Buchrezicenter

Der ewig dunkle Traum

Marlies Eifert - Buchrezicenter

Immer wieder hat man zu verschiedenen Zeiten versucht, Sinngebungen vorzunehmen Phänomene, Vorgänge, die uns im täglichen Leben begegnen, zu deuten, sie in einen Zusammenhang zu bringen.
So wird die Welt besonders in der christlicher Tradition des Barock als stürmische See gesehen, als Ort der ?Bewährung' für den einzelnen. Am Ende steht nach vielen Widrigkeiten die Einfahrt in den 'Hafen'. Eine Belohnung für die Mühen liegt möglicherweise im Jenseits. Angenommen wird eine höhere Gerechtigkeit.

Nichts davon in den 'Schattenwelten', wie sie als Folie für die Geschichten in der Anthologie Der ewig dunkle Traum dienen. In dieser Welt fühlen sich Wesen wohl, die Freude am Töten anderer haben: Vampire. Es ist eine Welt, in der Grauen, Horror, Not vorherrscht.
Not?
Weniger im materiellen als im existentiellen Sinn.
Die Protagonisten leben häufig in ?besseren' Kreisen. Mit Vorliebe in Adelskreisen.
Im ?Das Nachtbuch' (Eddie M.Angerhuber) wird ?roter Wein' im 'Licht der Kerzen' serviert. In 'Schattenchronik- der ewig dunkle Traum'(Wolfgang Hohlbein) steht das Haus Dilaras in vornehmer Gegend, bei Marc Alister E..-E. handelt es sich bei der Protagonistin um eine Königin. 'Mumien-Auswickel-Parties' in 'Schattentrinker' (Linda Budinger) können nur in exzentrischen Kreisen stattfinden, die sich um den Überlebenskampf nicht zu kümmern brauchen etc.

Die Sprache paßt sich diesen Gegebenheiten an. Keine Experimente, selten abgebrochenen Satzteile. In der Regel fließen die Sätze in 'altem' Stil. Auch die traditionelle Rechtschreibung, überhaupt die äußere Gestaltung, alles paßt sich der vornehm- düsteren Welt, in der Vampire agieren, an.

Variiert werden die typischen Vampirmotive : Blut saugende 'Untotote', die Jagd machen auf Menschen- meist sehr junge Mädchen. Gelegentlich erfolgt eine Umwandlung von Menschen in Vampire nach festen Regeln der 'Unterwelt'.
Am ungebrochensten kommen diese Elemente in Michael Borliks 'Engel der Nacht' vor.

Interessanter sind sublimere Formen.
Formen, die beispielsweise in einem Zwischenbereich zwischen Wirklichkeit und Traum spielen. So ist sich 'Dilara' bei Wolfgang Hohlbein (s.o.) nicht sicher, ob es sich bei dem Erlebten um Alpträume handelt. Die Spannung besteht im langsamen Weg des Erkennens bei gleichzeitigen Fluchttendenzen. Flucht aus der phantastisch düsteren grausigen Welt, die trotz allem Widerstand auch eine gewisse unübersehbare Anziehungskraft auf die Heldin besitzt.

Den sublimeren Formen ist auch Alisha Biondas Erzählung zuzurechnen. -
Bei 'Seelenpfand' fehlt der Biß in die Halsschlagader des anderen; das 'Aussaugen' erfolgt auf subtilere Art.
Die Handelnden, zwei Liebende, haben das Gefühl des Ausgeliefert - Seins. Sie sehen sich als Marionette des anderen. Beide möchten aus der Beziehung ausbrechen.
Fast hat man den Eindruck, daß die Autorin dieser Geschichte etwas aus dem wirklichen Leben eingehaucht hat.
Die Liebenden leben wirklich, sind also nicht halbtot oder scheinlebend. Und als Lebende haben sie eine Chance, vielleicht anders als man es von Vampiren gewohnt ist.
Deutlicher als bei den anderen Geschichten der Anthologie wird bei 'Seelenpfand' das Vampirprinzip zum Lebensprinzip von realen Menschen: Wie der eine sich am Leben erhält, indem er sich anderes Leben in gewisser Weise einverleibt, dies wird an Protagonisten demonstriert, die im Hier und Jetzt leben, und die nicht die Verfremdung zu typischen Vampiren über sich ergehen lassen mußten.

Die Welt der 'Schattenchronik' Bd.1 ist mit wenigen Ausnahmen in der Vergangenheit angesiedelt, einschließlich Altägypten. Mumien haben an sich schon etwas Grausiges, um so mehr, wenn der Vorgang des Einbalsamierens aus der Sicht des Toten beschrieben wird- zwischen Hoffen und langsam sicher werdender Gewißheit der Königin(s.o.), daß es sich bei den Handlungen der Priester nicht um lebenserhaltende Maßnahmen handelt. (Marc Alastor E.-E.).

Oder wenn die auszuwickelnde Mumie bei den 'Auswickelparties' auf bestimmte Mittel eines Gelehrten so reagiert wie erwartet oder auch wieder nicht erwartet: Sie wird wieder zum Leben erweckt und reagiert auf nicht vorhersehbare und vor allem nicht erwünschte Weise.

Es kommt auch vor, daß Vampire in unserer Welt agieren, sich wie in der Geschichte von Markus Heitz in 'Ein besonderer Geschmack' moderner Technologie bedienen, d.h. wissen, wie man mit Internet, Mails umzugehen hat. Das ist interessant zu lesen, hat Witz. Aber man hat doch den Eindruck, daß sie 'fremd' gehen, nicht so recht in die Netz- Gemeinschaft gehören.

Anders wenn das Phantastische, Groteske auf eigentümliche Weise in unsere Welt eindringt, wie dies am ehesten in ?Vergnügungspark' von Armin Rößler oder auch in 'Die Stadt am Fluß' von Frank H. Haubold greifbar ist.
Fast Alltägliches- ein Vergnügungspark als Ablenkung an einem arbeitsfreien Tag aufgesucht- verwandelt sich kafkaesk in einen nicht mehr begreifbaren Alptraum.- In 'Die Stadt am Fluß' verwandelt sich eine normale Kleinstadt nach Jahren in einen Raum, wo 'trust in the night' möglich ist. Das Strandbad verrottet in kniehohem Unkraut. Brennesseln, Disteln, die Umkleideräume mutieren zur Ruine. Alles in der Stadt, die der Protagonist nach Jahren wieder aufsucht, ist fremd und bekannt zugleich. Erklärungsversuche erweisen sich als sinnlos. So wenn die jung gebliebene 'Erste Liebe' in einem Tunnel am Straßenrand steht und als Anhalterin mitgenommen werden will.
Langsam - kaum wahrnehmbar wie in 'Die Stadt am Fluß- oder auch plötzlich wie in 'Vergnügungspark' wächst Phantastisches in den 'normalen' Raum hinein. In einen Raum, in dem - bezogen auf nahezu alle Geschichten- bekannte moralische Gesetzmäßigkeiten, Vorstellungen von Recht und Ordnung, Lohn für sozialen Einsatz u. ä. nicht mehr gelten.

Bleibt man als Leser ratlos zurück, wenn in 'Die Nahrung der Toten' (Barbara Büchner) das Opfer einer jungen Frau für ihren toten Geliebten einem grausigen Ende zugeführt wird? Oder wenn der ?Lehrer', der dem unheimlich 'Wispernden' im Auftrag von Dorfbewohnern nachgeht, das Abenteuer nicht ehrenvoll beendet, sondern am Ende das Leben verliert(Dominik Irtenkauf & Javier Hurtado:'Trauerflug aus dem Süden.')

Dominik Irtenkauf weist in dem lesenswerten Essay am Ende der Sammlung auf Nietzsche hin, der von Gut und Böse als altem Wahn spricht. Auf jeden Fall trifft dies, wie zu sehen war, auf die Vampirwelt zu, wie sie uns unter anderem in dieser Sammlung vorliegt.

Von der ersten Erzählung mit dem Titel 'The Vampyre'(1819) -zu Unrecht Lord Byron zugeschrieben- die den Vampir- Aberglauben mit suggestiv erotischen Zügen versetzt, bis zu den heutigen ?Vampiren' ist es ein langer variationsreicher Weg.

Ein Variationsreichtum, der gerade auch in dieser Anthologie zur Geltung kommt.
Die Sammlung zeigt, welche unglaublich vielfältigen Möglichkeiten gestalterischer Art- bezogen auf die Darstellung seelischer Prozesse, existentieller Not, unheimlich grotesker Atmosphäre im Vampir- Mythos enthalten ist.

Der Vampir- ein gedankliches Muster, das Aufschluß gibt, über Facetten menschlicher Persönlichkeit - wie Dominik Irtenkauf im abschließenden Essay meint?
In gewisser Weise ist er mehr als ein gedankliches Muster oder Teil eines Welterklärungsmodells . Er zeigt in allen seinen Facetten Züge von Leben.