Des Todes bleiche Kinder

Thomas Hofmann

Des Todes bleiche Kinder
(Anthologie, Abendstern-Verlag, 2002)
gelesen und die Herausgeberin befragt von Thomas Hofmann

Nun endlich das erste Buch aus dem Parchimer Neu-Verlag, der sich dem phantastischen Metier widmet. Das ist ja keine Pflicht, und die anderen Bücher, die dort bisher erschienen, sind allemal interessant genug, aber nicht das, was der Solar-X-Leser erwartet.
Die Anthologie sprengt auch gleich den Rahmen, den der Verlag mit seinen anderen Publikationen vorgab: Das Buch ist umfangreicher, seitenstärker, und dann noch nicht mal so teuer.
Was zunächst auffällt, ist die große Anzahl der enthaltenen Stories: 43 sind’s, von 39 Autorinnen und Autoren. Klar, dass da einige Geschichten ziemlich knapp ausgefallen sind, den Rekord hält Torsten Rybka mit einer halben Seite für eine seiner beiden Stories.
Zum anderen fällt die große Anzahl (mir) unbekannter Namen auf, es scheinen tatsächlich sehr viele Neulinge hier ein Podium gefunden zu haben. Obwohl die unabhängige Small Press bei uns mittlerweile festen Fuß gefasst und den Rahmen der kopierten Fanzines seit langem gesprengt hat, so sind es aber immer wieder dieselben Namen, die auftauchen. Es schien fast, dass auch dieses Medium in eingefahrenen Gleisen fährt.
Daher möchte ich es dem Abendstern-Verlag sehr zu Gute halten, dass tatsächlich auch neuen Autoren eine Chance gegeben wird. Ein paar "alte Hasen" sind dennoch dabei...

Thema der Anthologie sind unheimliche Zeitgenossen, Leichenfresser, Zombies, Untote, Vampire, Geister. Die meisten Texte leben durch ihre Stimmung, zeichnen sich durch schwarze Romantik und die Sympathie für Randgruppen, -erscheinungen und Menschen jenseits des "Normalen" aus. Es gibt aber auch handfesten Horror.

Nicht alle Stories sind gut, kann man bei einer so großen Auswahl sicher auch nicht erwarten. Bei einigen, wie zum Beispiel von Tobias Bachmann, von dem bereits ein ganzer Band mit Erzählungen bei Abendstern angekündigt ist, erscheinen sie irgendwie gekürzt, lesen sich wie Exposés für längere Texte oder Romane. Im konkreten Fall wechselt der Autor während dieser kurzen Story die Erzählperspektive und schlägt ohnehin einen großen Bogen; es geht am Ende um die Rache eines verschrobenen Millionenerbens an den Kindern eines Dorfes.

Andere Stories sind gar keine, eher wirklich "nur" Stimmungsbilder. Wenn man sich darauf einlässt, kann man sie mit Gewinn lesen!
Das für mich herausragende Beispiel stammt von Michael Borlik und ist betitelt mit "Der Garten der Toten". Hier verunsichert eine schwarz umhüllte Gestalt den Protagonisten, der dann nicht mehr im Stande ist, zwischen Realität und Traum zu unterscheiden, am Ende aber erkennen muss, immer genau das Falsche gedacht zu haben.
Der Titel der Anthologie ist auch einer solchen Story entnommen: "Kybele" von Alisha Bionda, die mir recht gut gefallen hat. Frauen verfallen einer Mondsucht, einer urweltlichen Göttin, die sich immer wieder in parasitärer Weise einen neuen Wirtskörper sucht, am Ende gar den einer Polizistin, die mit der Aufklärung der rituellen Morde betraut war.

Ein wenig SF ist auch dabei: Kerstin Dirks: "Königin der Amazonen". Ein Astronaut gerät auf eine fremde Welt und sieht sich angesichts paarungswilliger Amazonen zunächst in seinem Männlichkeits-Wahn und Macho-Gehabe bestätigt, muss dann aber erkennen, wer hier die wahren Herr(inn)en sind.
Ganz hervorragend gefallen hat mir wieder mal der Beitrag von Andreas Gruber. "Bourbon Street 23.00 Uhr" glänzt zunächst durch Originalität der Idee, weist dann aber auch einen (für meine Begriffe) sehr fein gezeichneten Background und gute Hintergrundrecherche auf und ist einfach großartig erzählt.
Ein lebensmüder Vampir heuert eine Truppe an, die ihn vom Dasein erlösen soll, so richtig mit Holzpflock und Silberkugeln. Der Vampir ist im Süden der USA alt geworden und hat so seine Probleme mit der schwarzen Bevölkerung. Dummerweise ist es gerade eine Schwarze, die in der Kneipe, wohin er sich seine Mörder bestellt hat, die durch ihre erotische Ausstrahlung ihn dazu bringt, doch lieber noch ein Weilchen auf Erden zu wandeln. Natürlich ist da ein Haken dabei, den ich nicht verraten will.

So richtige Ausfälle gab’s nur wenige, am meisten störte noch, dass einige Texte schlecht oder gar nicht korrekturgelesen wurden, was sie aber gebraucht hätten. Richtig aufgefallen ist es mir bei "Schattenwelt" von Ingrid B. Berlet. Hier stimmt die Grammatik einfach nicht, die Fälle wurden vertauscht, was beim Lesen regelrecht weh tat. Das hätte vermieden werden können. Dabei war die Geschichte nicht mal uninteressant; sie gehört zu der Rubrik "Stimmungsbilder" (wenn ich das mal so katalogisieren darf) und erzählt
vom Fluch der Unsterblichkeit und Clanzwängen bei den Untoten.
Insgesamt bietet der Band sehr erfrischende und interessante Eindrücke in die schwarzen Gedankenwelten einer wohl doch recht umfangreichen jungen Autorengilde, die sich dem Unheimlichen und Makabren, der Weird Fiction verschrieben hat (sicher nicht ausschließlich).
In Zukunft sind weitere Anthologien im Abendstern-Verlag angekündigt; natürlich geht’s wieder in die Schwarzen Bereiche, demnächst wird z.B. ein Band dem Vampir-Mythos gewidmet, die Sammlung ist wohl abgeschlossen, jetzt geht’s an die Auswahl.