Fenster der Seele

Christel Scheja - Fantasyguide - www.fantasyguide.de

Um kein anderes Tier, das sich den Menschen seit den Anfängen der Zivilisation angeschlossen hat, ranken sich mehr Legenden als um die Katzen. Anders als Hunde sind sie keine Rudeltiere, die sich bedingungslos den Menschen unterordnen können. Sie sind eigenwillige Einzelgänger, die ihren eigenen Kopf haben und genau wissen, was sie wollen und was nicht. So kann manch ein anschmiegsamer Schmusekater zu einer fauchenden, kratzenden und beißenden Bestie werden. Ein Blick in ihre leuchtenden Augen verrät nichts sondern trägt nur noch mehr zu ihrem geheimnisvollen Wesen bei.
Trotzdem - oder vielleicht gerade wegen dieser Eigenschaften - sind Katzen als Haustiere sehr beliebt. Sie sind selbstbewusst und eigenständig, so dass man sie auch einmal allein lassen kann; dann aber können sie auch bedingungslos lieben und an der Seite ihres Menschen sein. Und diese Ambivalenz macht sie so faszinierend und findet sich auch in Romanen und Anthologien wieder.

„Fenster der Seele”, herausgegeben von Alisha Bionda und Frank W. Haubold, ist eine jener Sammlungen, die sich mehr der unheimlichen und mystischen Seite als lustigen Anekdoten über das muntere Treiben der Samtpfoten widmen. In vielen, der insgesamt neunzehn, Geschichten ist ein übernatürliches Element zu finden.
Mal geht dieses von den Katzen selbst aus, dann wieder sind sie nur Beobachter oder sogar Warner, so wie in „Der Fluch” von Alexander Amber, der ersten Erzählung. Verleger und Kritiker machen sich hin und wieder schon Gedanken über die Manuskripte und ihre Autoren, denn könnte nicht einer unter ihnen sein, der die Ablehnung oder den Verriss übel nimmt? Diesen Eindruck bekommt Kullmann, als ein ihm bekannter Rezensent stirbt. Er hat ein Buch des gleichen Autors auf dem Tisch liegen. Nur gut, dass Katzenaugen wesentlich mehr sehen als die von Menschen - und Katzen bereit sind, manchmal auch ihren Dosenöffner zu beschützen. Selbst wenn er eine wichtige Rolle spielt, der Kater kommt in der Geschichte insgesamt ein wenig zu kurz.

Ein wenig anders sieht das in Alisha Biondas Geschichte „Fenster der Seele” aus. Immer wieder versucht Chiara, ihrem Gefängnis zu entkommen - einer in einer Jugendstilvilla beheimateten Nervenheilanstalt, in der man sie von ihrer Krankheit zu heilen versucht. Sie hat das Gefühl, nicht an diesen Ort zu gehören, aber sie ist sich auf der anderen Seite auch nicht ganz so sicher. Nur eines weiß sie genau. Die innere Verwirrung hat damit angefangen, dass sie tief in die Augen einer Katze blickte - oder umgekehrt. Die Autorin lässt bewusst offen, was wahr ist und was Lüge und erlaubt so dem Leser zu rätseln und sich selbst zu entscheiden, was für ihn richtig ist. Das gibt der Erzählung einen besonderen Reiz.

Zwei Polizisten gehen einer unheimlichen Mordserie nach, doch sie finden nur eine Gemeinsamkeit. Immer hält sich in der Nähe der Toten mindestens eine Katze auf. Als sie hinter die Wahrheit kommen, ist es auch schon fast zu spät, denn „Die Gemeinschaft” holt sich, auf was sie schon lange gelauert hat. Michael Borlik verwandelt den scheinbaren Kriminalfall geschickt in eine unheimliche Gruselgeschichte und enthüllt damit eine weniger nette Seite der Katzen.
„Phillip” ist die wichtigste Person im Leben des Katers Jakob. Als sich die Mutter des Jungen von ihrem Gatten trennt, um mit einem anderen Mann zusammen zu leben, handelt der samtpfotige Mitbewohner entschlossen, um seinen Freund vor allem Übel zu beschützen, was von ‚Onkel Erwin’ kommt. Andreas Gruber kommt ohne phantastische Elemente aus, erzählt aber aus der Sicht des Katers und beweist, wie geschickt und subtil die Katzen manchmal vorgehen können, um ihr Ziel zu erreichen. Einen ähnlichen Gerechtigkeitssinn beweisen die Stubentiger auch in „Nachtratten” von Judith Rau.
Ähnlich hinterhältig gehen die Katzen in „Sieben Leben” von Stefanie Pappon vor. Denn wenn man schon sieben Leben hat, so möchte man diese durchaus in angenehmen und passenden Körpern verbringen und nimmt sich vorher die Zeit, diese sorgsam auszusuchen und in einem geeigneten Moment zuzuschlagen. Ebenso überraschend kommen auch die Wendungen, die die Autorin in ihre Geschichte eingebaut hat.
Aber nicht immer sind die Katzen boshaft. Sie retten auch selbstlos Leben wie „Die Seekatze” von Christoph Marzi oder die Heiler in „3 + 4” von S. Ch. Hirsch.
Der mystisch-magischen Seite der Katzen und ihrer Verbindung zu den Göttern im Besonderen gerecht werden Nina Blazon in „Eine Nacht mit Nivenar” und Eddie Angerhuber in „Les choses éternelles”. Märchenhaft wird es in „Der Katzenstrauch” von Corinna Bomann, die einen durch die Wüste irrenden Mann zu einem geheimnisvollen Ort und seinen noch seltsameren Bewohnern führt.

„Fenster der Seele” wird dem Anspruch, den die Herausgeber an die Geschichten gestellt haben, mehr als gerecht. Die einzelnen Erzählungen sind sehr abwechslungsreich. Auch wenn sie manchmal das gleiche Thema haben, wie etwa die sieben/neun Leben der Samtpfoten oder ihre Aufgabe als wachsame Wächter über diejenigen, denen sie ihr Herz geschenkt haben, so beleuchtet jeder Autor doch eine andere Facette und setzt andere Schwerpunkte.
Heraus kommt eine bunte Mischung aus geheimnisvollen und unheimlichen Geschichten, unter denen es keine wirklich schwache Erzählung gibt. Nur sollte man keine Schockeffekte und Action erwarten; hier steht eher subtiles und sich schleichend entwickelndes Grauen im Vordergrund. Interessanterweise ist ein bekannter Name oft auch nicht unbedingt ein Garant für eine beeindruckende oder tiefgründige Geschichte, die findet man oft mehr bei den weniger bekannten Künstlern, die offensichtlich viel mehr Liebe und Sorgfalt in den Aufbau ihrer Texte gesteckt haben.
Die Texte wurden übrigens stimmungsvoll und eigenwillig von Pat Hachfeld unterstützt, der zu jeder Erzählung ein passendes Titelbild gemalt hat, das einmal nur die Atmosphäre wiedergibt, die einen erwartet, dann aber wieder eine Szene aus der nachfolgenden Geschichte abbildet, die man beim Lesen sofort wieder erkennt.

Wer zum einen Katzen sehr gerne mag und sich zum anderen angenehme Schauer über den Rücken jagen lassen möchte, der greift mit „Fenster der Seele” nicht daneben. Die Anthologie bietet eine bunte Mischung an mystischer und dunkler Phantastik, die sich in ihrer Vielfalt und Güte sehen lassen kann. Und man hilft dabei sogar den Katzen selbst, da ein Teil des Verkaufspreises an den Verein Katzen in Not e.V. gespendet wird - bei Direktbestellung beim Verlag sogar doppelt so viel.