Marlies Eifert - Buchrezicenter

Der dünne Mann – und andere düstere Novellen

Marlies Eifert - Buchrezicenter

Jemand der den Strachminimalismus der Nachkriegsliteratur internalisiert hat, reibt sich verwundert die Augen, wenn er in der phantastischen Literatur, so auch in 'Edgar Allan Poes phantastischer Bibliothek Bd 8 (Der DÜNNE MANN und andere düstere Novellen) die Sprache des 19. Jh's wiederfindet und er stellt fest, wieviel an Differenzierungsmöglichkeit in Hinsicht auf Gestaltung der Atmosphäre, der seelischen Ausdrucksformen, wie viel ironische Brechung diese neue 'alte' Sprache zuläßt.

Alle zwölf Erzählungen knüpfen in irgendeiner Form, sei es Sprache, Thema, Gestalten an Edgar Allan Poe an. Am deutlichsten wird dies in Eddie M. Angerhubers 'Nepenthe' und in Marzis 'Die Raben'(nach dem gleichnamigen Poem von E.A.Poe 'Der Rabe').
Wie in Poes 'House of Usher' nähert sich der Erzähler in Nepenthe einem geheimnisvollen Haus auf überwucherten Wegen, vorbei an uralten Bäumen. Wie bei Poe sind es die Frauen, die dem Organismuscharakter der Gebäude, der düsteren Atmosphäre nicht standhalten. Die Illustration von Mark Freier weist auf das Ende: eine Collage aus Grabmal, Angorakatze und verschwimmendem Frauenantlitz.
Manchmal gelingt es dem "Erzähler", sich wie in 'House of Usher' vom Ort des Geschehens zu entfernen, manchmal wird er wie in 'Die Raben' mit einbezogen. Die Raben fungieren als Mahner und Rächer. Vergangenes wird gegenwärtig. Auch bei dieser Geschichte faßt die Illustration von Mark Freier Wesentliches im Bild zusammen.

Überwiegend sind es Grabmale, "lebende" gespenstische Häuser, Burgruinen, die die Grafiken und die darauf folgende Handlung bestimmen.
Bei Michael Stiefener "Abendstimmung mit Burgruine" geht es- wie übrigens auch bei Wolfgang Hohlbein um die Begegnung eines Menschen mit einer irgendwie unwirklichen Gestalt. Die plastische Beschreibung der Örtlichkeit, die der Rezensent auch kennt, wird bei dem Leser einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

In zwei Erzählungen allerdings ist es die Moderne, die als Ort der Handlung in Erscheinung tritt:
Andreas Gruber: "Wie ein Lichtschein vor der Tür" und Christian von Aster: "Stanchloams Erbe".
Bei "Wie ein Lichtschein unter der Tür" besteht die Kulisse für die Handlung hauptsächlich aus einer Stadtrandsiedlung der Kurstadt Baden und einem Altersheim..

In "Stanchloams Erbe" wohnt der fiktive Erzähler in einem von der Öffentlichkeit abgeschriebenen Armenviertel Manchesters zwischen Gestank, verzogenen Wänden, diffusen Geräuschen ausgesetzt. Thema der Novelle: Genmanipulation.
Wen wundert's, wenn die Glasbehälter, die bei den Versuchen von Professor Stanchloam eine Rolle spielen, weniger aus einem modernen Laboratorium als aus einer alchimistischen Werkstatt zu stammen scheinen. Man fühlt sich an das Labor Wagners in Faust II erinnert, in dem der Homunculus, ein künstlicher Mensch, entsteht.

Wesentlich deutlicher wird die Faustassoziation bei der Erzählung "Der dünne Mann" von Wolfgang Hohlbein.
Natürlich handelt es sich bei dem dünnen Mann in 'Der 'dünne Mann' von Wolfgang Hohlbein um Mephisto. Auf der letzten Seite kann auch der Ahnungsloseste nicht mehr zweifeln: Der Pferdefuß wird direkt benannt.
Der Titel der Erzählung weckt zunächst unbestimmte Erwartungen. Man denkt an Shakespeare, in dessen Drama "Julius Cäsar". Der Titelheld gibt den volkstümlich gewordenen Ausspruch von sich: "Laßt dicke Männer um mich sein". Der "Dünne" ist also wohl ein ungemütlicher Mensch oder eine unfeine mysteriöse Figur.
Mit Mephisto verbindet ihn die ironische Sprechweise, die - innnerhalb bestimmter Grenzen- gezeigte Macht über die Geschehnisse(hier ein Erdbeben), aber auch die scheinbare Hilfsbereitschaft.
Die Szene spielt nicht im Studierzimmer, sondern in einem einstürzenden Haus während des Erdbebens in San Franzisko. Der Held der Geschichte ist ein Ganove schäbiger Art, der sich im Prostituiertenmilieu aufhält. Auch Blut fließt, aber so ganz nebenbei.
Es geht Hohlbein um eine Nachdenklichkeit, die auch sein klassischer Vorläufer Johann Wolfgang Goethe auf den Weg bringen wollte.

Der Titel: "Die Firma" von Mischa Wischnewski weist auf Vorgänge hin, die sich im Hier und Jetzt ansiedeln lassen. Vordergründig handelt es sich bei der Firma um nichts anderes als um um eine Zweigstelle, für die "flexible und engagierte Arbeitnehmer" gesucht wird? Hinter dieser nach außen hin scheinbar 'normalen' Wirklichkeit baut sich jedoch eine lähmende Atmosphäre auf, die nichts mit einem modernen effektiven Betrieb oder auch einer pulsierenden Stadt zu tun hat. .Für diese andere Wirklichkeit ist ein 'krankes Weiß' bezeichnend..
Kafkaesk!
Nach der Verwandlung des Protagonisten, eines Arbeitnehmers der "Firma", in einen Blinden im äußerlichen wie übertragenen Sinn fühlt sich der Protagonist "angekommen". Er glaubt, den "Sinn seines Seins" in der "Firma" gefunden zu haben. Kafkaesk, so kann man sagen, wenn man an Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" denkt. Auch Gregor Samsa ist nach seiner Verwandlung am Schluß mit seinem Schicksal einverstanden - bevor er als Käfer verendet..
Wie man sieht: Goethe- und Kaffkaassoziationen fügen sich problemlos in die Poe - Tradition ein!

Sollte man noch etwas zu einem möglichen Vorwurf des Eklektizismus sagen?
Wir sind er Meinung, daß alle Erzählungen der Anthologie so viel Eigenes enthalten, daß man Poe, der Herausgeberin Alisha Bionda und dem Blitz- Verlag dankbar dafür sein muß, den Stein für die Entstehung der Geschichten ins Rollen gebracht zu haben.

Marlies Eifert
Georg Grimm-Eifert