Der dünne Mann – und andere düstere Novellen

Christel Scheja - RATTUS LIBRI, Rezensenten.de u.a.

Neben H. P. Lovecraft gehört wohl Edgar Allan Poe zu den großen Autoren der unheimlichen Phantastik, da er einer derjenigen war, die das Bild des Horror-Genres bis heute prägten. Seine Werke wie „Der Untergang des Hauses Usher” oder „Der Rabe” sind bis heute unvergessen und inspirierten viele Schriftsteller bis in das 21. Jahrhundert.
Deshalb ist nun zu seinen Ehren im BLITZ-Verlag mit „Der Dünne Mann” eine Anthologie erschienen, deren Autoren ihm durch ihre eigenen Geschichten Respekt zollen wollen. Sie benutzen Stil- und Handlungselemente seiner Werke, manchmal beziehen sie sich auch direkt darauf.

Die Titelgeschichte steuerte Wolfgang Hohlbein bei. Der Dünne Mann” ist eine ziemlich geradlinige Story, in der ein Verbrecher seinem wohl verdienten Schicksal entgegen geht, dabei in seinen letzten Tagen aber auch immer wieder dem Tod in einer besonderen Gestalt über den Weg läuft. Auch wenn der Bestsellerautor damit kein innovatives und Bahn brechendes Werk hinlegt, so bietet er doch ein Stück gewohnt guter Unterhaltung, das nichts an Spannung vermissen lässt und am Ende noch mit einer netten kleinen Wendung überrascht.
Den Großmeister Poe am würdigsten vertritt wohl „Der Fluch von Mayfield”. Boris Koch und Jörg Kleudgen fangen geschickt die morbide und Unheil verheißende Stimmung ein, die auch schon das alte Herrenhaus der Ushers besaß. Die heimkehrende Heldin sieht sich mit einem düsteren Vermächtnis aus der Vergangenheit konfrontiert und wird dabei auf eine völlig falsche Fährte geführt, als sie den Fluch zu entschlüsseln versucht. Dabei ist sie die Einzige, die ihn wirklich brechen kann. Die Erzählung hat alles, was man sich wünscht: eine dichte Atmosphäre und ein Rätsel, das gelöst werden muss, bevor es zu spät ist.
In die Abgründe der menschlichen Psyche und in handfesten Horror taucht hingegen „Wie ein Lichtschein unter der Tür” von Andreas Gruber ab, in der ein junger Mann lange kämpfen muss, bis er seine perversen Gelüste befriedigen kann.
Ganz auf düstere und unheimliche Stimmungsbilder und weniger auf eine geschickt aufgebaute Handlung setzen hingegen Barbara Büchner mit „Spinnwebschleier”, die von dem nächtlichen Besuch auf einem Friedhof” erzählt, und Christoph Marzis „Die Raben”, die das berühmte Gedicht von Poe anschließt.
Ein junges Paar findet in Eddi M. Angerhubers „Nepenthe” in einem neu erworbenen Haus ein altes Tagebuch. Angenehmer Grusel rinnt über ihren Rücken - aber auch über den des Lesers, wenn er das Ende kennt.

Weitere Geschichten von Michael Siefener, Micha Wischniewski, Dominik Irtenkauf, Christian Aster und Mark Freier spielen mit Poes Werk, während der biographische Artikel von Micha Wischniewski die Anthologie abrundet. Die Innenillustrationen und das Titelbild von Mark Freier tun ihres dazu, um die düster-spannende Atmosphäre zu vertiefen.
Alisha Bionda hat bei der Zusammenstellung der Anthologie ein gutes Händchen bewiesen. Die Geschichten sind abwechslungsreich, literarisch und inhaltlich ansprechend und bieten allesamt eine stimmungsvolle Hommage an den Großmeister. Bereits das Vorwort von Franz Rottensteiner führt gelungen ein und weckt eine bestimmte Erwartungshaltung, die nicht enttäuscht wird, denn auch die Anordnung weiß zu gefallen, bietet sie doch ein Wechselbad der Gefühle.

Liebhaber düsterer Phantastik im Stile von Edgar Allan Poe und solche die es werden wollen, sollten zugreifen. Die Anthologie wird sicherlich ihren Erwartungen mehr als gerecht. (CS)