Geschichtensammlung, die zeigt, wie vielfältig die Science Fiction sein kann und wie überraschend aktuell und berührend ihre Themen sind

Christel Scheja - RATTUS LIBRI, LITERRA u.a.

Wenn man den Begriff Science Fiction hört, drängen sich zwei sehr unterschiedliche Vorstelllungen in den Kopf: Entweder sieht man eine kaputte und halb zerstörte Welt vor sich, in der der schöne Schein nur noch mühsam aufrecht erhalten wird und die Menschen, so gut sie können, um ihr Überleben kämpfen, weil technische Entwicklungen und Profitgier die natürlichen Ressourcen erschöpft oder die Umwelt zerstört haben – oder man denkt unwillkürlich an heftige Weltraumschlachten gegen und wilde Abenteuer mit und um die absonderlichsten Aliens.

Es gibt nur wenige Autoren, die einen anderen Weg gehen und mit den Stilmitteln der Science Fiction spielen und sich irgendwo zwischen den nüchtern-depressiven Dystopien und den märchenhaft archaischen Welten der Space Opera bewegen.
Eine Sammlung solch ungewöhnlicher Geschichten, die sich nicht in eine Schublade stecken lassen, hat Alisha Bionda mit dem Lerato Verlag herausgegeben.

Sechzehn Geschichten von namhaften und seit Jahren etablierten Autoren wie Uschi Zietsch, Andreas Gruber und Ronald M. Hahn, aber auch von aufstrebenden Newcomern und jungen Talenten hat die Herausgeberin herausgesucht. Alle Storys sind mit einem Titelbild von Mario Moritz versehen. Mit seinen Computer generierten und bearbeiteten Zeichnungen versucht er, die Atmosphäre der Erzählungen einzufangen.

Es geht um überraschende Erstkontakte in Linda Budingers Geschichte, in der sich ein Astronaut plötzlich mit Riesenfröschen konfrontiert sieht, die sich am nächsten Tag überraschend in Aliens verwandeln, und bei Andreas Gruber um einen jungen Weltraumreisenden, der feststellen muss, dass man nicht an allen Orten im All seine Mission achtet und lieber Bares als seine Kreditkarte sieht. Das ganze wird zu einem Überlebenstraining der besonderen Art.

Ronald M. Hahn zeigt „Wie Terrorismus entsteht“, indem er einen – älteren Lesern aus anderen Anthologien oder Fanzines - durchaus vertrauten Briefwechsels zwischen dem Herausgeber eines SF-Magazins und einem hartnäckigen Autoren schildert.

Wie einst der Rattenfänger von Hameln so kommt auch „Der Himmelspfeifer“ von Jörg Isenberg die Menschen heimlich holen, wenn auch auf eine nicht ganz so nette und ziemlich perfide Art und Weise. Helmuth W. Mommers zeichnet ein zynisches Bild der Zukunft, das gar nicht einmal so falsch sein muss, denn wer weiß, ob in den nächsten dreißig oder vierzig Jahren nicht wirklich die ältere Generation „Zum Abschuss freigegeben“ wird, um den Jüngeren das Überleben zu ermöglichen.

Dies sind nur einige der Geschichten, die zum Teil verspielt und neugierig mit der Zukunft umgehen, dann aber auch mit Auswüchsen unserer Zeit abrechnen und weiterspinnen, in welche Richtung sie sich entwickeln könnten. Man begegnet natürlich auch Aliens, die mal freundlich sind, dann aber auch wieder ziemlich undurchsichtig und sogar bösartig. Die Protagonisten schlagen sich in der nahen und fernen Zukunft mit nur all zu menschlichen Problemen herum, die sich auch durch staatliche Einmischung nicht lösen lassen.

So entsteht eine abwechslungsreiche Anthologie mit höchst unterschiedlichen Geschichten, bei denen für jeden Leser etwas dabei sein dürfte. Vielleicht sind bei einigen Erzählungen die Pointen nicht ganz so klar, wie sie sein könnten, bei anderen wieder zu offensichtlich – aber je nach Geschmack des Lesers wird er das schätzen oder verurteilen.

Eines ist „Der Himmelspfeifer“ auf jeden Fall: eine gelungene und immer wieder überraschende Geschichtensammlung, die zeigt, wie vielfältig die Science Fiction sein kann und wie überraschend aktuell und berührend ihre Themen sind.

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