Der Dämonensohn führt seinen Feldzug gegen die Menschen weiter!

Leseprobe: Der Dämonensohn führt seinen Feldzug gegen die Menschen weiter!

Die beiden PSA-Agenten traten zögernd an den beeindruckenden Totenschädel heran, dessen dunkle Augenlöcher im Schein der Taschenlampe noch unheimlicher wirkten. Aber bedrohlicher sah der dunkle Schlund mit den auseinandergeklappten Kiefern aus, der den Eingang bildete.
"Der ganze Spuk nimmt allmählich Gestalt an!" Larry Brent trat auf das Tor zu und nah an den Schlund heran.
"Das ist nicht gut", murmelte Iwan hinter ihm. "Das gefällt mir ganz und gar nicht."
"Mir auch nicht, aber es gibt jetzt kein Zurück!" stellte Larry Brent bestimmt fest.
"Natürlich gibt es das", knurrte Iwan Kunaritschew. "Was sollen wir zwei groß ausrichten?"
"Ich habe eine kleine Lebensversicherung für uns dabei", sagte Larry.
"Ach, was du nicht sagst! Und welche?"
X-RAY-3 griff in seine Jackentasche und zog zwei kleine silberne Amulette hervor. Eines davon reichte er Iwan. "Nimm! – Salomons Schild, ein Schutzamulett!"
Iwan fragte nicht lange, woher sein Freund die beiden Amulette hatte, sondern streifte sich die Kette, an der das Amulett befestigt war, ebenfalls über den Kopf und verbarg den magischen Schutzschild unter seinem Hemd.
Dann sahen sich die beiden PSA-Agenten an, nickten sich kurz aufmunternd zu und traten in den Schlund des Totenschädeltores.

*

Adrienne rannte in das Wohnzimmer, ergriff das Telefon und wählte die Nummer ihres Agenten.
"Hallo", brummte das amerikanische Original nach einer kleinen Weile.
"Charley, ich bin's, Adrienne."
"Das wurde aber auch Zeit!" polterte er. "Was hast du so getrieben?"
Adrienne ließ das unbeeindruckt. Sie kannte Charley in- und auswendig.
Auf ihn traf das Sprichwort Harte Schale, weicher Kern hundertprozentig zu. Charley war der gutmütigste Mensch, den Adrienne in ihrem Leben kennengelernt hatte. Doch als Geschäftsmann war der Vierundfünfzigjährige knallhart, und das brachte ihr so manchen nennenswerten Profit ein.
"Ich habe meinen ersten Roman geschrieben, Charley."
"Du hast was?" fragte er irritiert.
"Ich habe einen Roman geschrieben. Ich buchstabiere: einen Richard Otto Martha Anton Nordpol."
"Das haut mich aus den Socken! Ich bin sprachlos!"
"Daß ich das noch erleben darf. Charley und sprachlos. Das allein war schon die ganze Mühe wert", kicherte sie.
"Willst du deinen guten Ruf ruinieren?"
"Danke! Du scheinst ja sehr viel Vertrauen in meine Schreibkünste zu haben."
"Das meine ich nicht", fuhr er unwirsch dazwischen. "Du bist keine Belletristin."
"Willst du das Manuskript nicht erst einmal lesen, Charley? Ich meine, bevor du einem Infarkt erliegst." Adrienne besaß die Gabe, ihn schnell wieder versöhnlich zu stimmen. Charley liebte und umsorgte sie wie ein Vater. Und mit der gleichen Zuneigung hing sie an dem brummigen Kerl.
"Also schön. Ich komme gleich vorbei und hole den Liebesschmöker ab. Hoffentlich halten meine alten Nerven das..." Adriennes Lachen unterbrach ihn. "Was ist denn jetzt schon wieder so witzig?" brauste er auf.
"Charley, du bist unmöglich. Wer sagt dir denn, daß es sich um einen Liebesroman handelt?"
"Mein Instinkt!" erwiderte er hochtrabend.
Fröhlich und unbekümmert erwiderte sie: "Dann trügt er dich gewaltig. Es handelt sich um keinen Liebesroman."
"Nicht?"
"Nicht!"
Erleichtert atmete er auf: "Gott sei Dank. Ich hasse dieses Ich liebe dich und all den Schmalz."
"Liebe gehört zum Leben wie das tägliche Brot!"
Jetzt prustete Charley los: "Woher hast du Küken denn diese Binsenweisheit?"
"Küken ist gut. Ich bin zweiunddreißig, Charley."
"Ein hohes Alter!" gluckste er.
"Ich beende jetzt das Gespräch. Du bist mir zu vorlaut. Und ich muß mir noch schwer überlegen, ob ich dir gleich die Tür öffne."

Adrienne zuckte heftig zusammen, als wenig später eine ungeduldige Faust laut gegen die Eingangstür hämmerte.
"Ich komme ja schon! – Charley! – Irgendwann schlägst du mir noch die Tür ein." Strafend blickte sie den grobschlächtigen Mann in dem karierten Hemd an.
Er schob sie wortlos zur Seite und grinste breit. Dann hielt er seine Nase schnuppernd in die Luft. "Hm, rieche ich da etwa Kaffee?"
"Habe ich extra für dich gekocht. Verdient hast du es nicht. Immerhin kommst du hier wie ein Erdbeben hereingepoltert."
Sie goß zwei Kaffeebecher voll, schob einen zu Charley und legte ihre Zigarettenschachtel daneben.
Ihr Agent hielt sich, wie üblich, nicht lange mit der Vorrede auf. "Wo ist dein Roman?" Er betonte das Wort Roman so, als handele es sich um eine unangenehme Grippe.
Leichtfüßig eilte Adrienne in das Arbeitszimmer und Minuten später mit einem dicken Stapel weißer, ungebundener Blätter in Händen wieder die Treppe hinunter. Mit einem lauten Knall landete das Skript vor ihm auf dem Küchentisch.
Charley sah sie strafend an. "Willst du dem alten Charley nicht sagen, was dich in letzter Zeit bedrückt?"
Adrienne stutzte und blinzelte ihn erschrocken an. "Mache ich so einen unzufriedenen Eindruck, daß selbst du es merkst?"
"Jetzt müßte ich eigentlich beleidigt sein. Was soll das heißen, daß selbst ich es merke? Hältst du mich für einen Seelenelefanten? Mir fällt so ziemlich alles auf, was mit dir zu tun hat."
"Entschuldige bitte. Aber ich weiß selber nicht, was mir fehlt."
"Ein Mann fehlt dir! Das ist alles!" brummte Charley.
Adrienne lachte dunkel und seltsam traurig. "Mir ist leider noch nicht der richtige begegnet."
"Das kann er auch nicht, wenn du dich hier immer verkriechst."
"Nun hör aber auf. Ich bin oft genug unterwegs."
"Dann haben die Kerle von heute keine Augen im Kopf oder sind alle mit Blindheit geschlagen." Er musterte sie. "Wie muß er denn sein, dein Traummann? Hast du einen bestimmten Typ?"
Adrienne neigte den Kopf. Durch die Bewegung fiel ihr langes Haar über die Schultern. Verschmitzt blitzte sie Charley an. "Willst du mich etwa verkuppeln? Aber ich muß dich enttäuschen, denn ich habe keinen bestimmten Typ." Ihre Stimme erhielt einen verträumten Klang. "Ich habe mir immer einen Mann gewünscht, der mich so akzeptiert wie ich bin. Aber die wenigen, mit denen ich in Frankreich zusammen war, haben – bis auf eine Ausnahme – alle versucht, mich entweder zu ändern oder mich einzuschränken. Ich bin der Ansicht, daß es in einer Beziehung zwischen Mann und Frau viele verschiedene Formen der Liebe und des Verständnisses geben muß. Das Größte aber ist für mich die Treue. Nicht nur dem anderen, sondern auch sich selbst gegenüber."
"Das hast du aber schön gesagt." Charley schlürfte lautstark seinen Kaffee.
Sie lächelte verkrampft. Ihr Blick schweifte geistesabwesend in die Ferne. "Ich wollte immer ein Kind."
Erstaunt sah Charley sie an. "Du und Kinder? Das wußte ich nicht."
"Wir haben auch nie darüber gesprochen. Mittlerweile bin ich auch schon zu alt. Ich halte nichts von dieser neuen Mode, mit vierzig noch ein Kind zu bekommen und sich durch die Mutterschaft einzureden, man wäre wieder zwanzig."
Charley lachte dröhnend. "Du bist ein kluges Mädchen. Das wußte ich vom ersten Moment an, als ich dich sah."
Adrienne stimmte nicht in sein Lachen ein. Ernst blickte sie ihn an. "Ich weiß auch zu würdigen, was du alles für mich getan hast. Das werde ich dir nie vergessen."
Väterlich griff über den Tisch, nahm ihre Hand, drückte sie kurz und sagte burschikos: "Also, was suchst du noch nach einem Mann? Du hast ja mich!"
Die kleinen Teufelchen des Schalks traten wieder in ihre Augen. "Aber sicher. Ich habe dich und Al."
"Das ist mehr, als man vom Leben erwarten kann. Zwei Freunde!" Charley deutete auf das Manuskript. "Und einer dieser Freunde wird sich hiermit die Nacht um die Ohren schlagen. Ich bin schon sehr neugierig." Er schob in seiner grobschlächtigen Art heftig den Küchenstuhl zurück und schnappte sich das Skript. Flüchtig küßte er sie auf die Wange und verschwand mit den mißbilligenden Worten: "Du hast schon wieder abgenommen. Dich kann ja der Wind umpusten."
Die Tür schlug zu und Adrienne war wieder allein.

*

Asmoday wandte seinen menschlichen Kopf den beiden heranfließenden Schatten zu, die sich ihm rasch näherten.
"Osé! Andras! Wie schön, euch zu sehen!"
Andras, der Dämon der Zwietracht, baute sich vor Asmoday auf. "Wir haben Eindringlinge gesichtet!"
"Ich weiß, Labal hat sich eingeschlichen, ich..." Asmoday verstummte, weil ihm jetzt erst bewußt wurde, daß Andras im Plural gesprochen hatte. "Eindringlinge sagtest du?" fragte er daher.
Andras nickte. "Zwei Männer."
"Interessant!" murmelte Asmoday, blickte auf das große, kunstvoll gearbeitete Goetiakreuz an der pechüberzogenen Wand und sah im Focus des dritten Auges zwei Männer in die Gebetshalle treten. "Wie ich sehe, befinden sie sich bereits auf geheiligtem Boden." Seine Stimme drückte Groll über die menschlichen Eindringlinge aus. "Das wird sie teuer zu stehen kommen!"
Osé sah Asmoday düster an. "Sagtest du eben, Labal habe sich ebenfalls eingeschlichen?"
Asmoday nickte mit seinen drei Köpfen. Sein Schlangenschwanz schlängelte sich an seiner rechten Seite empor. Der Dämonenkönig war eine imposante Erscheinung. Osé konnte sich eines gewissen Schauders nicht erwehren. Doch er kam auf seine Frage zurück. "Wäre es dann nicht an der Zeit, die drei aufeinander loszulassen?"
"Den Gedanken hatte ich auch schon!" Asmoday legte eine Pause ein, sprach dann bedächtig weiter. "Wenngleich ich mit Labal andere Pläne hatte."
"Du klingst, als rechnest du damit, daß Labal den beiden Menschen unterliegt."
Asmoday richtete seinen Blick wieder auf das Goetiakreuz an der Wand und somit sein drittes Auge in die Richtung der Gebetshalle und dem blonden, schlanken Mann in der Begleitung des Hünen. "Bei diesen beiden kann man die Möglichkeit nicht ausschließen!"