Leseprobe: Saha, die Gottesanbeterin, auf dem Weg durch die Regenbogen-Welt!

Die Sonne kitzelte am nächsten Morgen Sahas Nase. Tuc und Barb waren bereits wach und unterhielten sich leise mit Uhura. Es war schon wieder drückend heiß. Ein schwüles Lüftchen umwehte sie. “Würde es doch mal regnen”, stöhnte Jabani. Sie sehnte sich in die kühle, dunkle Höhle zurück, in der sie bisher gehaust hatte.
Saha blickte in den wolkenlosen Himmel. “Ja, es wäre wirklich eine Wohltat, wenn endlich ein paar Tropfen Wasser vom Himmel fielen.”
Doch To neinili, der Regengott, verweigerte ihnen das lebensspendende Naß. Er war der erste Gott, der ihnen seine Macht zeigte. Und seinen Zorn. Er ließ sie darben. Ließ sie über verdorrte, harte Erde gehen. Ließ sie dursten und nahm ihnen schon zu Anfang ihrer Reise die Hoffnung, jemals die fünfte Welt zu erreichen. Die Luft war zu heiß zum Fliegen. Sie verbrannte ihnen die Flügel. So krochen sie Meter für Meter durch diesen unerträglichen Brutkasten.
“Puh”, stöhnte Tuc. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so geschwitzt zu haben. Geschwitzt und gelitten. Und dabei war seine Leidensfähigkeit sehr groß. Das wußte er seit dem Moment, als er mit ansehen mußte, wie sein Volk unterging. Er würde den Anblick der Wassermassen des über die Ufer getretenen Flusses, welche die Stadt seines Volkes mit sich rissen, nie vergessen. Dabei war es purer Zufall gewesen, daß er verschont geblieben war. Sein jüngster Sohn hatte gefiebert und Tuc war in den Wald gegangen, um Heilkräuter zu sammeln. So war ihm das Los des frühen Todes erspart geblieben. Auch wenn er sich in den dunklen Stunden des Schmerzes nichts sehnlicher gewünscht hatte, als mit seiner Familie gestorben zu sein. Mittlerweile war er dankbar dafür, daß er noch lebte. Ihn trieb die Hoffnung voran, ein Weibchen seiner Spezies zu finden und ein neues Volk zu gründen. Darin sah er eine große Chance. Und seine Daseinsberechtigung.
Tuc ließ die Flügel hängen. Kleine Schweißrinnsale liefen über seinen Körper. ”Puh, das ist ja nicht auszuhalten.” Seine Stimme zitterte vor Anstrengung.
“Das kannst du wohl laut sagen”, entfuhr es Hazee keuchend. Ihr sonst so prachtvolles, rotbraunes Fell klebte verschwitzt an ihr. Aber es ging nicht nur ihr so erbärmlich. Die anderen sahen auch nicht viel besser aus. Shirkans Gang hatte sichtbar an Elastizität verloren, Jabanis Gesichtsausdruck wirkte noch verschlossener als sonst, Ishtars dünne Flügel hingen schlaff herab und Barbs klebten ihr wie festgeschweißt am Körper. Nur Saha hatte keine Schwierigkeiten. Ihr Chitinpanzer glänzte wie gewachst. Aber auch Kasur machten die Hitze und der Flüssigkeitsverlust nicht so sehr zu schaffen wie ihren Freunden. Die giftgrüne Schlange glitt mühelos über den Boden. Uhura bewegte sich mit komischen Flatter-Trippel-Bewegungen neben ihr her. “Das ist die Sonnenstraße”, gab sie im Lehrmeisterton von sich.
Hazee warf einen genervten Blick in das sonnenveredelte Blau des Himmels. “Eine sehr treffende Bezeichnung. Aber ich hatte für meinen Geschmack schon zu viel des Guten.”
“Ich auch!” pflichtete Jabani ihr bei. “Ich bin es nicht gewöhnt, ständig durch das helle Licht zu wandern. Wenn nicht bald...”
“Laßt euch nicht entmutigen”, fuhr Saha dazwischen. “Wir wußten von Anfang an, daß es nicht leicht wird.”
Ihre Freunde murrten, gingen aber dennoch weiter.

*

In den Nächten legte der Schwarze Gott ein so dunkles Tuch über die Welt, daß Saha und ihr Gefolge nicht weiterziehen konnten. Die Dunkelheit lastete so schwer auf ihnen, daß einige zu sterben glaubten. Saha hörte das angstvolle Stöhnen der Freunde und spürte, daß der Schwarze Gott nicht nur die Welt ins Dunkel zog, sondern auch ihre Seelen. Er war der zweite, der seinen Zorn über sie schickte. Ihnen nachts das Licht nahm.
Sahas Finger schlossen sich wie selbstverständlich um den Beutel, den Iman ihr gegeben hatte. Sie hörte im Geist deren Stimme: “Du wirst wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist, ihn zu öffnen.”
Jetzt war er gekommen!
Ungeduldig wühlte Saha in dem Ledersäckchen und zog die geschlossene Hand wieder hervor. Sie war selbst mehr als gespannt, was sie darin finden würde. Als sie die Hand öffnete, schrie sie erstaunt auf: Abertausend kleine blinkende Glimmerstückchen lagen darin. Saha wußte nicht so recht, was sie mit dem funkelnden Staub anfangen sollte. Einer Eingebung folgend warf sie die Glimmerstückchen so hoch sie konnte in die Luft. Jabani, die über ihren Köpfen flatterte, fuhr herum und blies mit aller Kraft in den fliegenden Glimmerteppich hinein. Die Teilchen flogen hoch empor und hefteten sich in unregelmäßigen Scharen an den dunklen Himmel. Einige bildeten Formationen, aus denen Saha und ihre Freunde Tiere und andere Gebilde heraussahen.
“Sieh nur, ein großer Bär!”
“Nein, dort ein Wagen.”
“Und hier, ein Skorpion!”
So redeten sie alle aufgeregt durcheinander. Dann verstummten sie wieder und blickten ehrfürchtig in den Himmel. Die Glimmerstückchen, die keine Formation bildeten, verstreuten sich unregelmäßig über das ganze Firmament.
“Ich hätte nie zu hoffen gewagt, daß ich sie noch einmal sehe”, sagte Uhura leise. Ergriffenheit lag in ihrer Stimme. Eine Gefühlsregung, die der sonst so beherrschten Eule nicht ähnlich sah.
“Wen?” fragte Barb. Selbst ihr keckes Gesicht trug einen ehrfürchtigen Ausdruck.
“Die Sterne”, sagte Uhura. Dann drehte sie den Kopf. Nicht schnell genug, so daß Saha nicht entging, wie Tränen über die runden Wangen der Eule liefen.

Die Nächte waren zwar immer noch dunkel, aber die Sterne machten sie jetzt lebendig und veredelten den Himmel. Uhura hatte ihnen erzählt, daß mit dem Untergang der ersten menschlichen Rasse auch die Sterne verschwunden waren. Jene Leuchtpunkte am Himmel, welche die Nächte erhellten.
“Die Menschen haben wirklich ganze Arbeit geleistet”, murmelte Saha gedankenversunken. “Aber sie wurden hart dafür bestraft. So wie wir jetzt. Die Götter haben auch mit uns kein Einsehen.”
Damit hatte sie völlig recht. To neinili, der Regengott, hatte ihnen immer noch kein Wasser geschickt. Aber Not machte ja bekanntlich erfinderisch. So hackten die Freunde mit spitzen Steinen Löcher in die Säulenkakteen und tranken die milchige Flüssigkeit, die aus den Pflanzen austrat. Das löschte ihren ärgsten Durst. Sie fertigten aus überreifen Beeren ein dünnflüssiges Mus, und auch das hielt sie am Leben. Essen gab es in Hülle und Fülle. Das ließ ihre Kräfte nicht schwinden. Schon bald gewöhnten sich ihre Körper an die veränderten Lebensbedingungen. Nur das ständige Sonnenlicht, das sie früher gesucht hatten, trieb sie an den Rand ihrer seelischen Belastbarkeit.
Andere hätten bereits aufgegeben.
Die Freunde aber gingen beharrlich weiter auf der Sonnenstraße. Dabei folgten sie immer den Schatten, welche die Strahlen des Lichtkörpers am Himmel warfen. Bis das nächste Hindernis der grollenden Götter über sie hereinbrach.
Rote Feuerzungen regneten auf sie herab. Von einer Sekunde auf die andere. Als sie schutzlos durch ein kleines Tal gingen, schickte ihnen der namenlose Feuergott seine heißen Todesboten. So plötzlich und heftig, daß sie verloren gewesen wären, hätte sich nicht plötzlich am Rande der Felsen, die das langgezogene Tal einschlossen, eine große, dunkle Gestalt erhoben. Das Wesen hatte einen dichten, braunen Pelz, bewegte sich auf vier mit mächtigen Krallen versehenen Pfoten und vermochte sich sogar auf seine Hinterbeine aufzurichten. Der plump wirkende Körper bewegte sich erstaunlich flink auf sie zu und stellte sich schützend über sie. “Bleibt immer unter mir und lauft mit mir zurück in die Berge”, schrie es Saha und ihren Freunden zu. Die überlegten nicht lange, denn das bullige Wesen setzte sich, nachdem es von mehreren Feuerzungen getroffen worden war, mit einem schmerzerfüllten Schrei in Bewegung. Bereits nach wenigen Schritten war es vor ihnen. Beraubte sie so seines schützenden Körpers.
Es war zu schnell für sie.
Saha gab ein schrilles Pfeifen von sich. Das Wesen drehte sich herum und eilte zu ihnen zurück. “Ihr seid zu langsam.” Eine weitere Feuerzunge traf den gewaltigen Körper. Geruch von verbranntem Fell stieg in Sahas Nase. “Ich habe eine bessere Idee. Klammert euch an mein Bauchfell.” Für Jabani war das eine Kleinigkeit. Sie hing in Sekundenschnelle an den warmen Bauchfransen des Retters. Auch Ishtar, Shirkan und Barb klammerten sich daran fest. Tuc verschwand sogar vollends in dem dichten Pelz. Hazees keckes Näschen lugte neben ihm hervor. Nur Uhura und Kasur sahen sich hilflos an. Die Schlange atmete einmal tief durch und ringelte sich blitzschnell um die linke Hinterpfote des Wesens. Saha blickte Uhura an. Sie war zu schwer, um sich an dem Bauchfell des Wesens festzuklammern. Die Eule versetzte Saha mit dem Schnabel einen heftigen Stoß, so daß sie gegen den Bauch ihres Retters fiel und sich instinktiv daran klammerte.
“Macht euch um mich keine Sorgen”, schrie Uhura und warf einen besorgten Blick in Richtung des Himmels, von dem es weiter Feuerzungen regnete. “Ich versuche mich so durchzuschlagen.”
“So weit kommt das noch”, brummte das Wesen, öffnete sein beeindruckendes Maul und erfaßte die Eule. Saha schrie auf und hätte sich beinahe vor Schreck fallenlassen, klammerte sich aber im allerletzten Moment wieder an die zotteligen Fransen, als sich das Wesen in Bewegung setzte. Saha schloß die Augen und fragte sich, ob sie von Uhura nur noch eine unförmige Masse vorfinden würden. Bis das beruhigende Gurren der Eule erklang.
Uhura lebte!
Das Wesen steigerte sein Tempo und erreichte beeindruckend schnell die Berge. Lief geschickt durch einige Felsausläufer und preschte in eine Höhle, die Schutz vor den Feuerzungen bot. Dort blieb es japsend stehen, ließ Uhura sanft aus seinem Maul zu Boden gleiten, lugte dann zwischen seinen Vorderpfoten hindurch und betrachtete Saha und ihre Freunde.
“Endstation”, sagte es freundlich. Immer noch außer Atem.
Kasur schlängelte sich elegant auf den Boden und kroch in sichere Entfernung. Das Wesen war ihr trotz seiner Hilfe nicht ganz geheuer.
Saha und ihre Freunde ließen sich ebenfalls zu Boden gleiten und liefen auf Uhura zu. “Geht es dir gut?” fragte Saha besorgt.
Die Eule nickte, noch sichtlich benommen, und blickte das pelzige Wesen an. “Wir danken dir. Ohne deine Hilfe hätten wir es nicht geschafft. Du kamst zur rechten Zeit. Aber nun verrate uns auch, wer du bist und wie du heißt.”
“Mein Name ist Shash. Ich bin der letzte, lebende Sohn von Anoo, dem Bären.”

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