Blutfesseln I

Leseprobe: Blutfesseln I

Amerika, New Orleans, 1790

Madame Serena – Weissagungen, Liebestränke, Voodoozauber.
Das ramponierte Schild, welches mehr schlecht als recht über einem dubiosen Eingang hing, ließ mich auf dem Weg durch meine neue Heimat innehalten. Ich hatte bis jetzt nichts auf derlei Schnickschnack gegeben, doch möglicherweise erhielt ich – orientierungslos wie ich war – von Madame Serena einen Hinweis, was ich mit meinem neuen Leben anfangen sollte. Das Einzige, was ich derzeit wusste war, dass ich mich unendlich einsam fühlte, seit ich mich von Sophie verabschiedet hatte. Obwohl ich ihr wünschte, dass sie mit ihrem Verlobten glücklich wurde, tat es mir beinahe leid, sie gehen gelassen zu haben. Aber welche Chance hätten wir als gleichgeschlechtliches Paar gehabt? Wir wären von der Gesellschaft nicht akzeptiert, sogar ausgestoßen worden und am Ende hätten wir uns vermutlich gehasst. Nein, ein sauberer Schnitt war die einzig vernünftige Lösung gewesen. Außerdem war ich mir keineswegs sicher, dass sie dasselbe für mich empfunden hatte, wie ich für sie. War sie in mich verliebt gewesen oder lediglich in das Gefühl, dass sie durchströmte, wenn ich von ihr trank? Durch die Tatsache, dass ich mir diese Frage überhaupt stellte, beantwortete sie sich von selbst. Die Wahrheit tat weh, doch ich wollte mir keine Blöße geben und so schloss ich dieses Kapitel, noch ehe ich das fragwürdige Etablissement der Wahrsagerin betrat.
„Also, Madame Serena. Wollen wir doch mal sehen, was Ihr mir über meine Zukunft sagen könnt“, murmelte ich vor mich hin, als sich mir eine vollkommen fremde Welt auftat. Im Inneren des Hauses war es dunkel, stickig, es roch nach Erde und Räucherstäbchen. Der würzige Duft legte sich auf meine Sinne, zeigte mir verwirrende Bilder von Menschen, denen ich in meiner Vergangenheit begegnet war, aber auch solche, die mir unbekannt waren und die ich vermutlich erst in der Zukunft kennen lernen würde. Ich schüttelte den Kopf, versuchte die Visionen zu vertreiben. Nur widerwillig gaben sie mich frei.
Mein Weg führte mich an üppigen Blumengewächsen vorbei. Das Haus glich einem Dschungel, daher auch der Erdgeruch, der mich sofort nach dem Betreten umfangen hatte. Eine Orchidee von außergewöhnlicher Schönheit zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Bewundernd strich ich mit meinen Fingern über die filigranen Blütenblätter. Der Hauch war kaum zu spüren, das leise Zischen nur ein Säuseln im Wind. Ich rührte mich keinen Millimeter, als die Schlange auf meine Schulter glitt. Neugierig schob sie ihren schwarzen Kopf vor mein Gesicht, die Reptilienaugen nahmen mich ins Visier, gerade so, als wollten sie mich hypnotisieren. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet auf ein Wesen zu treffen, dass ihr an Willenskraft ebenbürtig war. Wir kämpften im Geiste, fochten um den Sieg, bis eine Stimme uns in die Wirklichkeit zurückholte.
„Ihr verfügt über eine starke Persönlichkeit, Alexandra Romanow. Dennoch seid Ihr zu mir gekommen, um meinen Rat zu erbitten.“
Augenblicklich verschwand die Schlange zwischen den dunkelgrünen Blättern eines Strauches, sodass ich mich fragte, ob ich einer Illusion erlegen war. Manche Menschen hielten sich sonderbare Haustiere. Was sagte es wohl über den Besitzer aus?
„Woher kennt Ihr meinen Namen?“ Ich drehte mich um, war neugierig auf die Frau, die zumindest meinen Namen, möglicherweise auch meine Zukunft kannte. Ihr Anblick machte mich sprachlos, denn noch nie zuvor war ich einer so charismatischen Frau begegnet. Ihre Augen waren schwarz wie eine Neumondnacht, ihre Haut von einem zarten Kaffeebraun und sie trug einen Kaftan, der in sämtlichen Regenbogenfarben schillerte. Das schwarze Haar hatte sie zu Rasterzöpfen geflochten, an deren Enden bunte Perlen eingearbeitet waren, die bei jeder Bewegung klackende Geräusche von sich gaben.
„Noir hat ihn mir verraten.“ Der belustigte Unterton in der Stimme der Kreolin riss mich aus meiner Gedankenversunkenheit.
„Noir?“ Verständnislos sah ich sie an.
„Meine Freundin. Ihr habt eben ihre Bekanntschaft gemacht.“ Wie auf ein Stichwort erwachte einer der Rasterzöpfe Madame Serenas zum Leben, schlängelte sich über ihren Arm von wo aus sie mich aufmerksam beobachtete. „Eine schwarze Mamba, ihr Gift ist tödlich.“ Sie sagte das so beiläufig, als würde sie mir erklären, dass ihr Hund Flöhe habe. Ob sie wusste, dass mir das Gift nichts anhaben konnte?
„Ich weiß, dass sie keine Gefahr für Euch darstellt. Ihr seid ein Tagwanderer, ein Bluttrinker. Es ist lange her, seit ich einem Eurer Art begegnet bin. Doch Ihr seid sicher nicht gekommen, um mit mir darüber zu reden. Ihr wollt etwas über Eure Zukunft erfahren.“ Mit einer einladenden Handbewegung führte sie mich in den angrenzenden Raum, wo sie sich an einem runden Tisch niederließ. Kaum hatte ich mich ihr gegenüber gesetzt, nahm sie meine rechte Hand in ihre. Doch sie sah nicht wie erwartet auf die Linien in meiner Handfläche, sondern blickte mir fest in die Augen. Erwartete sie meine Zukunft darin zu sehen? Oder versuchte sie in meinen Geist einzudringen? Mein Herzschlag beschleunigte sich. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob es gut war, zuviel über die Zukunft zu wissen. Eine Reise in die Ungewissheit war doch wesentlich reizvoller. Was man sich alles einredete, wenn man Angst hatte. Das unheimliche Flackern in den schwarzen Augen der Kreolin bestärkte mich in meinem Entschluss, schleunigst das Weite zu suchen. Irgendwie hatte ich das ungute Gefühl, als ob sie etwas Schreckliches sah – ich war mir nun absolut sicher. Auf keinen Fall wollte ich wissen, worum es sich dabei handelte. Mit einem Ruck entriss ich ihr meine Hand, kappte so die Verbindung zwischen uns.

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