Leseprobe: SHOPPING

Die Reifen quietschen. Der Wagen kommt zum Stehen. Millimeter vor der Absperrung. Über mir der blaue Himmel, die Herbstsonne scheint. Vor mir kann ich gerade noch das Dach eines Hauses erkennen. Durch die vielen glücklosen Fliegen, die an der Windschutzscheibe kleben. Viertes Parkdeck, kurvige Außenauffahrt und meine Freundin ist gefahren wie eine Bescheuerte.
„War doch eine geile Fahrt!“ Ihre Stimme klingt wie die eines aufgeregten Kindes.
Mein Magen meint, er müsse sich umstülpen. Ich würge. Mein Puls bewegt sich nahe der Grenze zur Sprengung des Herzens. Habe immer gedacht, Männer wären die Heizer. Doch ich muss meine Meinung revidieren. Mein Magen revidiert seine nicht.
„Hast du mal 'ne Papiertüte?“, frage ich freundlich. Meine Lippen beben, versuchen das Unvermeintliche aufzuhalten.
„Pass bloß auf das Leder auf“, warnt mich Andrea.
Ist die noch ganz richtig im Kopf? Ich sterbe fast und sie denkt nur an ihren Porsche. Soll Papa doch die Reinigung bezahlen. Ich öffne die Tür, übergebe mich neben dem Auto. Andrea steigt aus und kommt auf meine Seite. Schaut irritiert auf den Boden.
„Ist das etwa rohes Kaninchen? Warst wohl heute Nacht wieder unterwegs.“ Ihr Blick ist verschmitzt. Er wandert dann zum Interieur des Porsches. Ich höre ihr erleichtertes Aufatmen.
„Der DriveIn war mir zu weit“, entgegne ich und schaue sie böse an.
Balle meine Hände, bis die Knöchel weiß hervortreten. Ich merke wie meine Zähne wachsen. Andreas Hals ist einladend. Ich bräuchte mich noch nicht einmal herunterzubeugen und das Problem wäre gelöst. Gut, beste Freundin tot, aber sichere Heimkehr gewährleistet. Und außerdem einen Porsche in der Garage. Ich höre schon die Schrottpresse, wie sie meinen maroden Polo zermalmt.
Andreas Stimme reißt mich aus den Gedanken. „Bettina, du bist mir vielleicht eine Heldin. Du bist stark, sorgst für Recht und Ordnung. So eine kleine Spritztour sollte dir nix ausmachen.“
„Sehr witzig. Normalerweise fahre ich aber keine kurvenreichen Straßen mit hundertfünfzig Sachen und fege die Auffahrt eines Parkhauses hoch, als befände ich mich in einem Mixer, sondern springe auf meinen vier Pfoten umher“, meine ich und knurre. Kompensiere so meinen Zorn und werde wieder ruhiger. Die Zähne entwickeln sich zurück.
„Schon gut, auf dem Rückweg fahr ich langsamer“, beteuert Andrea und hilft mir beim Aussteigen.
Meine Beine sind wackelig. Einen Moment stütze ich mich auf der Haube ab und sammele mich. Fahre mir mit dem Handrücken über die Lippen. Anschließend hauche ich in meine Handfläche. Puh, so geht das nicht. Ich krame nach meinem Mundspray und gebe mir eine Ladung. Hauche noch mal. Schon besser. Ich schnappe mir das wichtigste Utensil zum Shoppen. Eine große Handtasche mit genügend Platz für den gekauften Kleinkram.
„Auf geht’s“, tönt Andrea.
Hat jemand gesehen, was passiert ist? Gott sei Dank ist niemand da. Nur Andrea, das Kaninchen und ich wissen, wer sich da übergeben hat. Während Andrea auf die Treppe zustrebt, denke ich mit Grauen daran wie sie die Stufen runterjagt und meinem Magen den Rest gibt. Energisch ziehe ich an ihrer Bluse. Reiße meine Freundin fast an mich, als sie durch den Schwung meines Griffes stolpert. Ihrem bösen Blicke begegne ich mit Gleichmut und schiebe sie zum Fahrstuhl. Lange müssen wir nicht warten. Aber Zeit genug, dass mein Magen wieder normal arbeitet. Zumindest ist das flaue Gefühl weg. Doch der nächste Hammer lässt leider nicht auf sich warten. Die Tür öffnet sich und mir strömen die Ausdünstungen der Fahrgäste entgegen. Die Lüftung ist ausgefallen. Ich überlege, ob es nicht vielleicht doch das kleinere Übel ist, die Treppe zu nehmen. Gerade als ich ihr den Vorschlag machen will, schiebt sich Andrea an mir vorbei in die Kabine. Na toll, heute ist nicht mein Tag. Dabei habe ich mich so aufs Einkaufen gefreut. Trotz der Vorahnung, dass heute bestimmt noch was schiefgeht, folge ich meiner Freundin.
Und wieder einmal ergebe ich mich meiner Bestimmung, in einer Welt voller Ausdünstungen zu leben. Ruckelnd setzt sich der Fahrstuhl in Bewegung.

Es geht in die Fußgängerzone. Männer schauen uns nach, während wir uns unter die Passanten mischen. Ich rieche, was sie denken. Mir bleibt nichts verborgen. Sind denn alle Männer gleich? Oder hätten Andrea und ich mal Jeans anziehen und die Sonnenbrillen zu Hause lassen sollen? Egal. Es ist sowieso keiner für mich dabei. Ich kann ja riechen, wie leistungsstark ein Mann ist. Erfahrung. Ein vernichtendes Urteil für die Männer, das sich aber nur darauf bezieht, dass sie an nichts anderes denken können. Ich wette, wären nicht einige schlaue Frauen in der Geschichte der Erde unterwegs gewesen, würde diese jetzt nur aus einem großen Bett bestehen.
Ich schaue Andrea an. Pfeife dann einigen der Männer hinterher, die uns anstarren. Sie ziehen schnell die Köpfe ein, gehen weiter.
Wir lachen, haken uns unter – beste Freundinnen. Was Andrea will, rieche ich auch. Sie will nicht nur Freundschaft. Erst recht nicht, seit sie mein Geheimnis kennt. Und obwohl sie immer wieder Anspielungen macht, hat sie noch nie wirklich etwas versucht. Ein Vorteil gegenüber den Typen, die gerade in der Menge verschwinden, Typen, die nie wissen, wann sie aufhören sollten.
Eine Zeitlang durchstreifen wir die Zone. Doch jedes Mal, wenn ich in eins der Geschäfte will, schiebt Andrea mich weiter, schüttelt immer wieder den Kopf. Und ich dachte, wir wollten shoppen gehen und mich neu einkleiden. Als sie mich von einem Laden wegzerrt, wo fünfhundert Paar Schuhe reduziert sind und ich mich schon im Schuhhimmel sehe – wie groß ist eigentlich der Kofferraum eines Porsches? Hat er überhaupt einen? – werfe ich meiner besten Freundin einen enttäuschten und sehnsüchtigen Blick zu. Da stehen wir nun vor dem Paradies und sie will weiter. Sie benimmt sich wie ein Mann.
„Da können wir später rein“, meint sie augenzwinkernd.
Was soll ich machen? Sie bezahlt. Ich ergebe mich in mein Schicksal und gehe ihr hinterher. Widerstrebend. Sie soll schließlich merken, dass ich nicht käuflich bin.
„Nur keine Panik, Bettina. Ich habe dir versprochen, Klamotten zu kaufen, also tue ich das auch. Und nun schau nicht so.“
„Na gut.“
Spontan biegt sie in eine Seitengasse ein, bleibt vor einem Geschäft stehen. Ich schaue auf das Firmenschild und ziehe die Lippen nach oben. Es wäre besser gewesen, ich hätte mit dem Schicksal gekämpft oder mehr gespart, um mir selbst was zum Anziehen zu kaufen.
„Was willst du denn hier?“, frage ich ungläubig, starre wie betäubt auf das Schild, dann durchs Schaufenster in die Auslage. Mich beschleicht ein mieses Gefühl.
„Na, dir das passende Outfit kaufen“, erklärt sie, als müsse das klar sein.
Unwillig schüttele ich den Kopf. Doch Andrea schiebt mich vorwärts. Würde ich mich heftiger wehren, würde ich ihr vermutlich weh tun. Also rein in „Rudis Lack- und Lederwelt“.
Ich schaue mich in dem hell erleuchteten Laden um. So was ziehen die Leute wirklich an? Ich kann es kaum glauben. Meine Freundin begrüßt freundlich die Angestellte.
„Schön dich wiederzusehen, Andrea“, erwidert sie den Gruß.
Mein erstaunter Blick trifft Andrea. Sie zuckt nur mit den Schultern. Wenn ich daran denke, dass sie vielleicht solche Sachen trägt …
Wie in Trance greife ich zu einer der ausgestellten Waren. „Ich dachte, so was nimmt man, um Pferde zu dressieren“, flüstere ich.
„Oder einen Mann. Du kommst wirklich vom Land“, meint Andrea lachend und zieht mich weiter.
Doch ich reiße mich los, steuere auf ein anderes Regal zu. Vorsichtig greife ich nach dem Ausstellungsstück. Mein Gehirn arbeitet rasend schnell. Will sich einen Reim darauf machen, was meine Augen sehen. Hey, für was sind die Metallringe da am String? Werden daran Ketten befestigt? Ich habe ad hoc Mitleid mit den Männern.
„Los, komm.“ Energisch zieht Andrea mich mit. „Ich hab was gesehen.“
Gott, lass es nicht eins dieser Dinger mit Metallringen sein. Warum sieht sie es denn nicht? Mein Gesicht müsste doch Bände sprechen. Aber Andrea ist völlig vertieft. Scheint nicht mehr auf dieser Welt zu sein. Ich bin es jedenfalls nicht, wenn ich mich so umschaue. In dem Laden, wo ich meinen geliebten Big Cock 3000 XL gekauft habe, hatten die nicht, was es hier gibt.
Dennoch fasziniert und neugierig stolpere ich hinter meiner Freundin her. Und Gott hat mich erhört, aber er muss heute seinen Spaßtag haben. Es wird noch schlimmer. Vor einem Regal bleibt Andrea stehen. Keine Sekunde später hält sie mir einen Gegenstand hin.
„Was soll ich denn damit?“ Misstrauisch beäuge ich das breite Nietenhalsband.
„Damit wirst du gefährlich aussehen.“
Ich zweifele ernsthaft an Andreas Verstand. Schaue kurz zur Verkäuferin, die blickt gerade weg. Meine Hände schnellen nach vorne, packen eine völlig überraschte Andrea und zerren sie in die Umkleidekabine. Stoßen sie dort unsanft gegen die Wand.
„Gefährlich?“, fauche ich. „Meinst du nicht, als zweifünfzig großer Werwolf bin ich gefährlich genug?“
Meine Lippen beben. Ich spüre wieder meine wachsenden Zähne. Nehme wahr, wie sich meine Hände zu verwandeln beginnen. Oh Gott, eine Katastrophe. Andrea schaut mich fassungslos an. Erst ins Gesicht. Dann auf meine Hände, schon halb Pranken. Ihre Gesichtszüge entgleisen völlig.
Ich rieche ihre Angst. „Ich meinte ja nur.“ Sie wirkt eingeschüchtert. Dreht den Kopf weg. „Hm … dann eben was anders“, überlegt sie. Ihre Angst verblasst schon wieder.
Bei ihren Worten pruste ich los. Es beruhigt mich. Mein Zorn verpufft und kurze Zeit später sehe ich wieder wie ein normaler Mensch aus. So als ob nichts gewesen wäre, bugsiert Andrea mich aus der Umkleidekabine heraus, zur Lack- und Latex-Unterwäsche. Hält mir ein Set nach dem anderen hin und lacht dabei. Das ist ihre Welt.
„Leder ist nicht so gut“, erklärt sie flüsternd, „aber das Latex-Zeugs, dass weitet sich, wenn du wächst.“
Ein Set aus Korsage und Slip nehme ich ihr ab. Tue ihr den Gefallen, nach meinem Ausbruch. Puh, ich muss mich besser kontrollieren. Ich verschwinde in der Umkleide. Dämmerlicht empfängt mich. Typisch – da können Frauen ihre Cellulite nicht sehen. Ich habe keine. Stehe dennoch unschlüssig vor dem Spiegel. Entkleide mich dann und greife zögernd den Slip. Langsam, fast bedächtig ziehe ich ihn an. Er fühlt sich erst kalt an, dann angenehm warm. Die Korsage folgt. Gut, dass ich gelenkig bin. So schnüre ich das Teil selber. Andrea zu fragen würde wahrscheinlich Komplikationen bedeuten. Als alles fertig ist und sitzt, drehe ich mich vor dem Spiegel. Begutachte mich. Mustere mich skeptisch. Eins muss man Andrea lassen, sie hat Geschmack. Braun mit weißen Rüschen oben und unten, und weißen Schließen vorne. Sieht wirklich sexy aus. Plötzlich muss ich loslachen. Ein Gedanke durchzuckt mich. Ich stelle mir vor, wie ich in meiner tierischen Gestalt vor einem Blumendieb in der Kleingartenanlage stehe. Eine sexy Lack-Korsage an. Oben wackeln leere Körbchen. Die Brüste werden nämlich zu einer einzigen Muskelfläche, wenn ich mich verwandele.
„Was ist?“
Andrea schiebt den Vorhang einen Spalt zurück und schaut mich an. Ihre Augen haben ein eigenartiges Funkeln, als sie mich mustert. Schnell drehe ich mich um. Höre wie sie seufzt. Ich weiß, dass ihr Blick gerade auf meinem wohlgeformten Po ruht.
„Och, nichts.“ Ich kichere immer noch und wische mir eine Träne weg.“ Vielleicht ein anderes Mal“, erkläre ich und ziehe die Teile wieder aus. Schlüpfe in meinen Rock und meine Bluse und blicke in ein enttäuschtes Gesicht.
„Ich nehme das Halsband“, beschließe ich.
Meine Freundin fängt an zu strahlen wie ein Honigkuchenpferd. Wenigstens durfte sie mir etwas kaufen. Wir gehen zur Kasse. Sie bezahlt.
„Na, du hast ja auch schon fast alles“, meint die Verkäuferin und blickt enttäuscht auf das Halsband. Ich glotze Andrea perplex an.
„Du musst den Männern halt was bieten. Wenn nichts hilft, auf ihre niederen Instinkte kann ich mich immer verlassen.“ Sie geht hinaus. Lächelt mich über die Schulter hinweg an.
Ich schaue ihr zweifelnd hinterher.

Den Rest des Tages schleife ich sie in verschiedene Modeboutiquen. Die Ausbeute reicht für Monate. Für mich allerdings nur einen Monat dank meines Verschleißes. Mit mehreren Taschen bepackt, meine Handtasche ausgebeult vom ergatterten Kleinkram, machen wir uns auf den Weg zum Parkhaus. Doch je näher wir kommen, desto bewusster wird mir wieder, wie die Herfahrt war. Innerlich beginnt sich in mir alles zu sträuben. Vielleicht sollte ich den Zug nehmen. Aber so wie Andrea mir vertraut, vertraue ich ihr. Sie wird mich nicht enttäuschen. Als wir mit dem Fahrstuhl wieder nach oben fahren, habe ich es endlich geschafft, meine Horrorgedanken von mir zu schieben.

Auf der Rückfahrt wird mir wieder schlecht. Andrea hat es vergessen. Sie wollte doch langsamer fahren. Ich kaufe ihr Voltax. Versprochen. Gleich morgen.
In den Kurven werde ich hin- und hergeschleudert. Trotz Schalensitze und 5-Punkt-Gurt. Ich halte mich krampfhaft an der Tür fest.
Die Reifen quietschen. Ich habe das Gefühl, dass wir jedes Mal in den Kurven nur noch durch zwei Reifen mit der Straße verbunden sind. Wenn Andrea bremst, stemme ich meine Füße in den Fußraum. Mitbremsen soll ja bekanntlich beruhigen. Ihre Schuld, wenn das Blech durch ist. Leider wirkt die Aktion nicht bei meinem Magen und ich verfluche mich wegen des Hotdogs zwischendurch.
„Du brauchst ein geiles Motorrad, so wie Batman“, fängt Andrea unvermittelt an. „Ich hab auch schon das Richtige für dich.“
Denkt sie wirklich, ich brauche so was?
„Ich hab doch keinen Führerschein“, versuche ich es diplomatisch.
Ein Fehler, wie sich schnell herausstellt.
„Ich fahre“, sagt sie lächelnd.
Himmel, womit habe ich das verdient? Bin ich so ein schlechter Mensch? Noch bevor ich über diese Frage nachdenken kann, meldet sich fröhlich mein Magen. Ein Knopfdruck und die Fensterscheibe senkt sich nach unten. Kommt mir wie Stunden vor.
„Hey, alles klar?“, fragt Andrea grinsend.
Ich nicke. Beuge mich aus dem Fenster, übergebe mich ein weiteres Mal und beschließe, ich werde niemals einen Helm tragen, wenn wir Motorrad fahren.

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