FALLEN(GE)LASSEN
Illustration Copyright © Crossvalley Smith

Sie liebte Männer.
Viele. Harte, Muskulöse. Nicht wahl- aber emotionslos. Liebte mit geschlossener Austernschale. Ließ niemanden in ihren Lustpalast. Ihr Beischlaf war dominant. Nur sie bestimmte den Rhythmus. Beherrschte die Objekte ihrer Begierde. Band und fesselte sie und verhüllte ihr Augenlicht. Sie wollte sich niemals preisgeben. Nicht ausliefern.
Sie küßte. Doch niemals Münder. Nur Schenkel, Geschlechter. Niemals Münder. Sie streichelte fremde Haut. Weniger aus Lust oder Leidenschaft. Mehr weil es dazu gehörte. Massierte. Fest und kräftig. Mehr medizinisch, als erotisch. Ordnete sich niemals unter. Unterwarf kompromißlos. Ihr Inneres blieb den fremden Besuchern verwehrt. Wie das Hauptportal ihres Tempels.
Sie ließ sich nie fallen.
Wollte es nicht.
Konnte es nicht.
Der Zwang sich zu schützen war übermächtig. Seit dem dunkelsten Tag ihres Lebens. Als Männer sie mit Gewalt nahmen. Ihr Körper und Seele brachen. Sie brandmarkten und ihr die Liebesfähigkeit raubten. Seither erlaubte sie keinem mehr, sie zu verletzen, zu besitzen. Sie zu lieben. Aus Schutz und Schwur, niemals mehr ihr Innersten freizulegen. Wann immer ein Mann sie zu lieben vorgab, ließ sie ihn zwar an Stellen ihrer Haut, nicht aber an ihre Seele heran. Die Austernschale blieb geschlossen.

Das änderte sich mit einem Lächeln, das ihr warm wie ein Sommer-morgen, geschenkt wurde. Von einem Mann, den sie früher nicht wahrgenommen hätte. Keinem Modejournal entstiegen. Kein sixpack-Bauch. Doch von dem Lächeln ging ein so strahlendes Licht aus, das ihre Eisschicht zum Schmelzen brachte. Seine Stimme kroch in jede ihrer Körperzellen. Er schenkte ihr Worte, die sie nie zuvor gehört hatte. Zärtlich, voller Liebe. Umwarb sie. Gab ihr das Gefühl, Einzigartig zu sein. Für ihn. In seinem Leben. Ein Bestandteil dessen zu sein. Es war neu für sie, daß sie all das von ihm Gesagte erreichte. Daß sie ihm glaube. Sie begierig darauf war, sein Leben zu teilen. Ihn zu lieben. Mit all ihrem Denken und Handeln.
Sie war auch verunsichert. Hatte Angst. Kämpfte verzweifelt gegen die Sehnsucht und Lust, die er in ihr weckte, an. Sehnsucht, sich bei ihm fallen zu lassen. Nur bei ihm, daß wußte sie, war das möglich. Doch da waren ihre Schutzmechanismen: Es konnte nicht gut gehen. Sie würde wieder verletzt werden. War er auch nur Jäger und Sammler?
Er war ein Mann.
Doch seine Worte von Liebe und Seelenglück brachten sie Schritt für Schritt näher an ihn heran. Auch wenn sie bei jeder Bewegung auf ihn zu Qualen litt. Über Schatten springen mußte.
Sie sprang.
Er war es ihr wert. Er wußte, von ihrer Dunkelzeit. Würde sie nicht verletzen. Geduldig jeden ihrer Öffnungsversuche abwarten und ihre tastende, zögerliche Liebe aufnehmen. Wissen, daß sie kostbarer war, als von jeder anderen Frau. Weil sie ihm etwas schenken wollte, was anderen Männern verwehrt war. Sowohl ihre Seele, als auch ihren Körper. Uneingeschränkt.
Er war weise. Anders als andere Männer. Wenn nicht er, dann keiner. Das wußte sie. War sicher. Hätte es mit ihrem Blut unter-zeichnet.
Sie küßte ihn. Seinen Mund. Immer wieder diesen ausgeprägten Mund. Berührte ihn. Seine Haut. Nie berührte sie bereitwilliger Haut. Weil sie es erstmals wollte. Weil sie süchtig danach war. Nach ihm, seinem Lächeln, seinen Küssen, seinem Gewicht auf ihr, der Art, wie er sich in ihr bewegte. Seine Art sie zu lieben hatte etwas Rituelles. Etwas Heilendes. Mit Ruhe. Zeit. Stunden. Nächte. Sie liebte seinen Geruch, seinen Geschmack, den salzigen Schweiß, der auf sie herabtropfte, während er sie liebte. Allein seine Küsse vermochten es, sie in Erregung zu versetzen. Wo seine Hände sie berührten, brannte ihre Haut. Die Knospen ihrer Brüste reckten sich jeder seiner Bewegung hart und erwartungsvoll entgegen. Sie liebte es, wenn er sich an ihr rieb. An jeder Stelle ihres Körpers feuchte Spuren hinterließ. In ihr Fleisch biß. Bitter-sweet. Ihr bunte Male einbrachte.
Endlich wußte sie, wie es war, wenn sich Körper und Seele gleicher-maßen liebten. Unser Seelen tanzen, sagte er. Sie hörte die Musik. Hoffte sie möge nie verklingen. Zwischen ihnen. Ihren Körpern. Er brachte die guten Saiten in ihr zum Klingen. Sie konnte nicht aufhören, ihn zu betrachten. Wenn er schlief. Im Dunkel der Nacht. Ihre Zunge paßte perfekt in seinen Nabel. Als habe Gott ihn allein für sie gemacht. Und der Geschmack seiner Männlichkeit, hatte etwas Frisches. Lebensspendendes.
Nur er durfte die Freitreppe ihrer Liebesvilla benutzen. Das muß Liebe sein, dachte sie. Fühlte sie. Mit jedem Atemzug, den sie aus ihm schöpfte. Jeder Welle, die er in ihr auslöste. Liebe, die es festzuhalten galt. Auf die man nur einmal im Leben traf. So dachte sie. Mit der Unschuld eines Kindes, das blind vertraute. Im Grunde ihrer Seele war sie es auch. Hatte sie immer nach einem wie ihm Ausschau gehalten. Sie hatte ihn gefunden. Dachte sie. Denn sie kannte den Unterschied. Wenn eine, dann sie. Sie schenkte ihm ihre ganz persönliche Kostbarkeit. Die sie nur ihm geben konnte. Und die auch nur er erkennen konnte, weil er ihre Geschichte kannte. Alles über sie wußte. Es hatte für sie etwas Jungfräuliches. Etwas Erstmaliges. War ihr Treueschwur. Ihr Ganzheitsversprechen.
Sie ließ sich fallen.
Es war wie Erlösung, die über sie hinweg zog. Die ihr Lust entlockte, die ihrer sonst so stummen Kehle nie entflohen war. Und ihre Seele ließ stille Tränen des Glücks frei. Schwemmte Altes hinweg. So wie die Feuchtigkeit ihres Schosses. Sie hoffte, daß er sie auch weiterhin liebte. Mit Zeit und dem wohlwollenden Blick auf ihre weitere Entwicklung. Dem beständigen Wunsch ihre Häutung zu begleiten. Mit Liebe im Herzen und geduldiger Weisheit. Und der Lust sie zu lieben. Sein Mund versprach es. Immer wieder. Sie glaubte ihm.
Die Austernschale öffnete sich weit.
Erstmals seit jenem Tag, als ihr Gewalt angetan wurde, gab sie sich hin. Es war beinahe wie eine Neugeburt, als er das erste Mal in sie eindrang. Doch er nahm ihre nur ihm geöffnete Seele nicht wahr. Sah bald nur noch die Reste ihrer Schutzburg, an die sie sich manchmal noch klammerte. Hinter die sie sich teilweise versteckte. Weil ihre Liebe sie schutzloser als jemals zuvor machte. Er sah nicht, daß auch die letzten Mauern schon Risse hatten. Daß sie bereits wankten. Sie diese nur zu gerne zum Einstürzen gebracht hätte. Wie sie für ihn geöffnet bleiben wollte.
Seine Worte verflogen. Wie seine Liebe. Er entzog sie ihr. Kalt. Verletzend. Unpersönlich. Als wäre sie nie sein Mensch gewesen. Nur eine unter vielen.
Ihre Beine schlossen sich verunsichert wieder. Nahmen ihre Seele mit. Doch sie und ihre Haut würden weiterhin ihm gehören. Wenn auch nur in der Erinnerung. Würden auf ihn warten. Bis er den wahren Grund ihrer Seele erkannte. Ihm gewahr würde, daß ihre Liebe zu ihm niemals unter den Schutzmauern begraben wurde. Sie sie weiterhin Stein für Stein abtragen würde. Auch wenn es nun seinem Blick verborgen blieb. So hoffte sie dennoch, daß der Pfad ihn zurückführen würde. An und in ihren Tempel.

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