Die Welt der Finsternis

Dr. Astrid von Nahl – Jugendliteratur und Medien


Ein großartiges Buch!


Als erstes fällt die ausgezeichnete Grafik auf dem Einband auf, die den Leser sogleich in die Welt eines Computerspiels versetzt. Schon insofern ist sie besonders gut gewählt, als die Autorin ihren Fantasy Roman als gezielten Angriff auf Computerspiele einsetzt. Damit bietet sie von Anfang an eine interessante Variante des typischen Fantasy Motivs "Sieg über den Bösen/Dunklen". Nach dem Motto, dass im Reich der Fantasie alles möglich ist, allein durch die Einbildungskraft, bleibt bis zum Schluss unklar, ob das Geschehen der gesamte Roman als Handlung in der Handlung illusionärer Traumzustand während Brendans schwerer Krankheit ist oder fiktiv real gesehen wird (wie in vielen Romanen dieses Genres).
Es findet keine Zeitreise statt; die würde sich auch nicht anbieten, denn der Autorin geht es in erster Linie darum, Missstände der Gegenwart aufzuzeigen. Als Hauptperson wählt sie den dicklichen feigen Brendan, gesellschaftliche Randfigur und Außenseiter, der in der Schule stets unterlegen und fertiggemacht keinen richtigen Freund hat, Zuflucht in der mystischen Scheinwelt der Computerspiele sucht und den Problemen aus dem Weg geht.
Geschickt zeigt Alisha Bionda von Anfang an die Fragwürdigkeit solcher Spiele auf; nur durch die Faszination (an den meist bösen Scheinwelten) verstrickt sich Brendan, stellvertretend für Tausende junge Leser, in die Welt der Finsternis. Schnell bricht etwas Böses, Rachsüchtiges in ihm aus, er verhält sich nach dem Motto, "nur ein toter Feind ist ein guter Feind". Erst durch die Begegnung mit Eloy, der Elfin, erkennt er, dass in jedem Alltag das Böse, Dunkle seinen Platz hat und beginnt sich der Gefahr, dass Gewalt und Böses sich in der Seele heimlich ausbreiten, zu widersetzen.
Die Welt der Finsternis ist Spiegel seines Inneren: Seine Gefühle prägen diese Welt machen sie böse und dunkel oder lichter. Brendan merkt: Begegnet er den abscheulichen Gestalten mit Achtung. Ehrlichkeit und Toleranz so verlieren diese an Abscheu, bekommen ihre menschliche Gestalt und Gefühle wieder, und er erkennt schon früh für sein späteres Leben, dass Gewalt und Hass oft nur aus Angst und Hilflosigkeit entstehen. Dennoch muss er Ator besiegen, den Fürsten der Finsternis, der aus einem Reich der Wärme und des Lichts eine Welt der Kälte und der Dunkelheit gemacht hat, das Volk der Elfen besiegte und nun junge Menschen durch ihre Faszination an Computerspielen entführt und zu seinen versklavten Kämpfern macht. Unaufdringlich lernt Brendan durch die Hilfe Eloys, Gors und mancher anderer seine Lektion. Lernt sich zu behaupten und durchzusetzen, aber nicht mit Gewalt. Bezeichnenderweise besiegt er dann auch Ator nicht mit körperlicher Gewalt, tötet nicht ihn, sondern zerschlägt konsequent den Kristall des Lebens und befreit so die Versklavten. Doch Alisha Bionda geht einen Schritt weiter als die üblichen Fantasy Romane, denn diese außerordentlich spannende Geschichte dient "nur" dazu, dass Brendan die in der virtuellen Welt gemachten Erfahrungen auf sein reales Leben überträgt. Und er erkennt, dass es in allen Bereichen des Lebens Ators gibt.

Das Böse ist nicht in der Welt, sondern in den Menschen, was dann erst die Welt böse und dunkel macht. Die so eingebettete Kritik der Autorin am Menschen ist umso überzeugender, als sie nicht von ihr selbst, sondern von einem Jugendlichen hervorgebracht wird, mit dem sich die Vielzahl der Leser wird identifizieren können.

Brendan ist kein Moralapostel. sondern mit den gleichen Schwächen und Stärken behaftet wie der Leser. und seine Erkenntnisse und Einsichten sind die des Lesers. Am Ende muss dieser sich mit dem Vorwurf auseinander setzen, dass der Mensch heutzutage gedankenloser geworden ist, dass er die Natur zerstört, den Schwachen und Andersartigen keinen Platz in der Gesellschaft gewährt und prophylaktisch alles bekämpft, was von der Norm abweicht. Die Kritik an einer Gesellschaft, in der jeder nur mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist, verbindet Alisha Bionda mit dem Aufzeigen, dass jede Sucht fatal ist.
Dass sie den Mut hat vom Beispiel der Computerspiele auszugehen in den Augen vieler jugendlicher Leser wohl zunächst gar nicht als Suchtverhalten empfunden und es dabei versteht, Gefahren aufzuzeigen und diese Form des Spielens gleichzeitig der Lächerlichkeit preiszugeben, macht das Buch schlichtweg großartig.

Dr. Astrid von Nahl, Jugendliteratur und Medien