Der Himmelspfeifer - eine ansprechende Anthologie

Helga Schubert - SF-Buchforum

Was macht eine gute Anthologie aus?

Geschichten, die den Leser auf gedankliche Wege führen, die sich abseits der üblichen, eingefahrenen befinden. Das gilt besonders für das Genre SF. Die Storys sollen verblüffen, zum Nachdenken anregen und das Gefühl vermitteln, etwas Neues entdeckt zu haben, eine andere Sichtweise, ungewöhnliche Aspekte.

Die Anthologie „Der Himmelspfeifer“ sieht ansprechend aus. Das geheimnisvolle, dunkel gehaltene Cover stammt von Crossvalley Smith. Es zeigt neben einem Motorradfahrer eine überdimensionale Gottesanbeterin, als Hinweis auf die Titelgeschichte.

Vernünftige Schrift und originelle Szenentrenner sorgen für einen angenehmen Lesefluss. In den Kopfzeilen wechseln sich Verfasssername und Storytitel ab. Es sieht gefällig aus und ist sehr hilfreich. Man weiß sofort, wer welchen Text geschrieben hat.

Vor den Geschichten stehen die biografischen Daten des jeweiligen Autors. Zu jeder Story gehört eine passende Illustration, geschaffen vom Grafiker Mario Moritz, der sich bei seinen Arbeiten sehr viel Mühe gegeben hat.

Das Vorwort stammt von Hermann Urbanek. Er ist in der Szene kein Unbekannter mehr. Gekonnt beschreibt er das Wesen der SF-Kurzgeschichte und geht ihrer Entwicklung im Ausland und im hiesigen Fandom nach.

In der Anthologie befinden sich 17 Storys von exzellenten deutschen Autoren, die ihre Ideen unterhaltsam darbieten.

Zum einen wird das Szenario durchgespielt, was geschehen würde, träfe man durch einen Zeitrutsch unvermutet auf den großen Goethe.

Dann geht es um die äußerst perfide Herstellung des emotionalen Gleichgewichts, das Aggressionen nicht zulässt.

Eine weitere Geschichte hat das Zusammentreffen von Mensch und Alien, ausgerechnet auf dem Schulhof in Berlin/ Treptow, zum Inhalt.

Thema einer anderen Story ist das Unvermögen, Endorphine im eigenen Körper zu produzieren. Nur die Priester eines Ordens können Glücksgefühle vermitteln, indem sie bei ihren Vorstellungen diese Stoffe freisetzen. Das hat jedoch seinen Preis.

Es gibt ebenfalls eine sehr schöne Geschichte über einen einsamen Dichter, der Schuld auf sich geladen hat und an einem fernen Ort die Gelegenheit bekommt, seinen Fehler auszubügeln.

Besonders beeindruckend ist auch eine Idee, die zum Glück nur in einer menschenverachtenden Gesellschaft möglich werden kann. Dort werden alte Leute per Gesetz zum Abschuss freigegeben.

Fiktive Probleme ziehen sich durch das ganze Buch. Die phantastische Vielfalt an exotischen Orten, kuriosen Gestalten und ungewöhnlichen Ereignissen liefern puren Lesegenuss.

Im Anschluss an den Geschichten finden sich noch interessante Informationen zur Herausgeberin Alisha Bionda und dem Grafiker Mario Moritz.

Ist „Der Himmelspfeifer“ eine gute Anthologie? Die Frage muss man unbedingt bejahen.

Helga Schubert zu den einzelnen Geschichten:

Planet der Riesenfrösche von Linda Budinger
Mike stellt auf dem Planeten Zyrun den Kontakt zu einer neuen außerirdischen Lebensform her, die gigantischen Fröschen ähnelt Der Empfang beim zweiten Besuch verläuft allerdings anders, unerwartet, viel besser…
Die Geschichte ist sehr kurz, basiert aber auf einer hübschen Idee.

Heimkehr nach Algata von Andreas Gruber
Ein Sgorcs wird von seinem Volk verstoßen, weil er keine Dinge aus dem Unterbewusstsein materialisieren kann. Das ist eine Fähigkeit, die normalerweise jeder auf Algata besitzt.
Er streift auf der Suche nach dem legendären Meister Yorringh durch das All. Der soll ihm helfen. Zu spät beschließt er die Rückkehr zu seinem Planeten. Die Nährlösung, auf die er angewiesen ist, reicht genauso wenig wie der Treibstoff. Dem Sgorcs steht der sichere Tod bevor. Doch dann findet er eine Raumstation und alles wird anders.
Die Beschreibung des Sgorcs und seiner Lebensweise ist gelungen. Auf das Ende wäre ich allerdings nicht gekommen. Aber es passt sich logisch in die Geschichte ein.

Wie Terrorismus entsteht von Ronald M. Hahn
Ein Briefwechsel bildet das Gerüst für diesen Text. Er ist sehr aussagekräftig. Für Autoren, wie auch für Verleger oder Redakteure.

Der traurige Dichter von Frank W. Haubold
Das ist eine sehr schöne Geschichte. Ein Dichter, einsam, allein am Meer, auf einem fremden Planeten. Erinnert mich irgendwie an „Der alte Mann und das Meer“.
Ich hätte ewig weiter lesen können. Doch nach 15 Seiten war leider schon Schluss.
Gestört hat mich etwas die häufige Wiederholung der Worte „trauriger Dichter“. Obwohl ich mich dann immer gefragt habe, warum der Mann so traurig ist. Also könnte es vom Autor vielleicht sogar beabsichtigt sein.
Das Ende verrate ich nicht. Muss jeder, den es interessiert, selber lesen.

Achtung Scheinwerfer! von Domenik Irtenkauf
Die Story ist etwas verworren, splattermäßig. Nicht mein Fall. Das hat mit meinen persönlichen Vorlieben/ Abneigungen zu tun. Ich stehe nun mal nicht auf Storys, in der das Blut spritzt und Leichen angezündet werden.
Aber ich will fair sein. Ich verstehe, was die Geschichte ausdrücken soll und sehe genau die Idee, die dahinter steht. Und die ist keinesfalls schlecht!

Der Himmelspfeifer von Jörg Isenberg
Die Titelgeschichte ist spannend. Bauer Tigges findet ein unbekanntes Wesen, das sich im Stall einnistet und den Menschen im Dorf mit seinem Pfeifen schreckliche Bilder schickt. Es nährt sich von der Furcht, von den depressiven Gedanken der anderen.
Dieses Wesen ist ängstlich, fremd und will dorthin zurück, woher es einst kam. Dazu braucht es die Leute.
Im Gegensatz dazu gibt es einen merkwürdigen Motorradfahrer, der ebenfalls nicht von der Erde stammt und das fremdartige Ding haben will. Er warnt die Bauern, Adam Peters sieht jedoch in Visionen dessen wahre Gestalt und spürt die Kälte, die von ihm ausgeht.
Und die Sache entwickelt sich.
Was für eine phantastische Geschichte!

Zum Abschuss freigegeben von Helmuth W. Mommers
Ein fast 70-jähriger will seine Mutter, die sich nie um ihn gekümmert hat, umbringen. Sein Enkel hilft ihm dabei. Hintergrund sind die bestehenden Gesetze. Rente ab 70. Man erhält nur soviel, wie der Nachwuchs zahlt. Mit 80 Sterbehilfe auf Krankenschein, Tod. Oder offiziell genehmigter Abschuss.
Doch es läuft nicht so, wie es sich der 70-jährige vorgestellt hat.
Die bitterböse Story ist gut erzählt. Aufgrund der (im schlimmsten Fall) Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer solchen Tat oder des ev. Beschlusses dieser wahnsinnigen Gesetze, jagt mir die Geschichte eine Gänsehaut über den Rücken.

Die Folie von Christian Montillon
Aliens, die einen Krieg anzettelten und von Mutanten besiegt werden. Normale, als Unterdrückte dieser Mutanten.
Das Überleben in der Welt des Ich-Erzählers ist nicht einfach. Deshalb sucht er in einem aufgefundenen Raumschiff der Außerirdischen nach dem Schatz, der darin verborgen sein soll.
Es ist jedoch kein Gold, was er findet…

Kiri von Mario Moritz
Bao-Bäume als intelligente Spezies, deren Sporen einst über Kometen herangetragen wurden.
Ein Kiri als Erfüllungsgehilfe bei der Reinigung des Planeten. Und er reinigt gründlich…
Interessant ist die Illustration dazu. Endlich kann man sich anschauen, wie ein Autor sein erfundenes Wesen sieht. Man muss nicht nach der Beschreibung seine eigene Phantasie bemühen. Denn Mario Moritz ist gleichzeitig der Grafiker, dessen Zeichnungen in der Anthologie enthalten sind. Er hat für jede Geschichte eine passende Illu angefertigt.

Upload Untot von Niklas Peinecke
Cortez sucht seine Schwester Thereza. Ist sie bei Pedro? Bei den Zomba? Ist sie tot? Oder ist sie nur eine der Figuren im Spiel?
Der Autor weiß, wie man eine Geschichte erzählen muss.

Gefühle regieren die Welt von Margret Schwekendiek
Endorphine werden im Körper gebildet und sorgen für Glücksgefühle. Doch was geschieht, wenn das nicht mehr möglich ist?
In der Story gibt es eine Lösung für dieses Problem. Doch alles hat seinen Preis. Einer muss darunter leiden.

GÖTHÉ von Achim Stößer
Durch einen Zeitrutsch gelangt ein Informatiker in das Jahr 1829. Er trifft sich mit Goethe und stellt dabei fest, dass der Dichterfürst seinen Namen kennt.
Schön flüssig und wahrscheinlich mit großem Spaß geschrieben. Das merkt man der Geschichte durchaus an.

Deus ex Machina von Dirk Taeger
Fähnrich Erek wirkt am Projekt Mimesis mit, das den Menschen ihre spirituelle Heimat geben soll, aber er hat Gewissensbisse. Zu Recht, denn Millionen werden sterben.
In der Story wird ein bekanntes Thema umgearbeitet, so dass es völlig neu erscheint.

Myomorphus von Fabian Vogt
Jemand schreibt seine Lebensgeschichte auf. Und die hat es in sich. Stromstöße, Folter, mehrfache Operationen zum Zweck der Gehirnforschung.
Der Autor spielt mit dem Leser, obwohl das Wort Spiel eigentlich irreführend ist. Dazu ist die Sache zu ernst. Aber F. Vogt zeigt auf sehr geschickte Art und Weise den Weg, den der Leser gehen soll. Am Ende dieses Weges steht der allbekannte Aha-Effekt, als Abschluss einer tollen Kurzgeschichte.

Das rot-weisse Licht oder Sinkflug über Berlin/ Treptow von Mikis Wesensbitter
Was sagen THE CURE und AC/ DC über zwei Schüler in der DDR aus? Warum ist Chemiker ein Schimpfwort? Wer trägt nun den geklauten FC Unionsschal? Und was haben Aliens mit all dem zu tun?
Die locker dahin geschriebene Story beantwortet alle diese Fragen und wirft ein paar weitere auf.

Der perfekte Frieden von Uschi Zietsch
Gut und böse. Schwarz und weiß. Himmel und Hölle. Reich und arm und natürlich Harmonie und Aggression.
Unversöhnliche Widersprüche prägen die Welt. Aber seitdem es die Mirfrid-Konstante gibt, wandeln sich Aggressionen in positive Gefühle um. Ein Fortschritt für die Menschen. Oder ist diese Konstante bloß ein raffiniertes Mittel der Herrschenden, um das Volk ruhig zu halten?
Die Autorin geht in der Geschichte einer sehr interessanten Idee nach.

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