Leseprobe: Die Herrin der Dornen

Sie musste sich wirklich beeilen, obwohl das in dem ungewohnten Schuhwerk kein leichtes Unterfangen war. Zuhause trug sie flache Schuhe, und das meist nur, wenn es draußen kalt war und der Schnee das barfuß Laufen verbot. Doch diese Stiefel brachten sie durch den wahnsinnig hohen Absatz bei jedem Schritt in Gefahr, kopfüber nach vorne zu purzeln. Derartige Stiefel hatte sie nicht einmal bei der vornehmen Lady aus Mercia gesehen, die vor einem Jahr unter seltsamen Umständen in ihrem Dorf aufgetaucht war. Viel gesehen hatte sie von der Lady nicht, denn ihre Mutter scheuchte sie rasch in ihr Zimmer und schloss sie ein. Überhaupt wusste sie nicht, wozu Absätze gut sein sollten. Das Gehen machten sie jedenfalls zu einem halsbrecherischen Akt.
Sie stützte sich an den Wänden der Rundtreppe ab, um keine Stufe zu verfehlen. Nur deshalb verhinderte sie einen halsbrecherischen Sturz, als ihr linker Fuß in der letzten Kehre wegrutschte. Ihr Fuß knickte um, sie schrie erschreckt auf. Bevor sie auf dem Hintern landete, griffen zwei kräftige Hände zu.
Morna hob den Kopf und blickte Syre Rand ins Gesicht. Blaue Augen, tief wie ihr geheimer See, starrten sie an. Ihr zaghaftes Lächeln erwiderten sie nicht. Stattdessen fuhr er sie an: »Wo ist Kayla?«
Morna schluckte. Was sollte sie ihm antworten? Dass sie es nicht wusste? Aber Kayla sollte sie doch herumführen, ihr alles zeigen, was wichtig war. Wenn Syre Rand sie nun abholte, war das sicher kein gutes Zeichen.
»Ich weiß es nicht, Syre, sie wollte ...« Sie druckste herum. Wohin wollte Kayla noch? »Sie wollte etwas holen, Syre.« Eine Notlüge, dazu eine schlechte. Syre Rand betrachtete sie, während sie im ebenerdigen Geschoss ankamen, wie einen Hasen, den ein Jagdhund gerade stellte.
»Ich seh dir an, wie du lügst, Mädchen.« Seine Stimme glich dem Knurren eines Hundes, seine körperliche Präsenz genügte, um sie einzuschüchtern. Er stand hochgereckt vor ihr, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen auf sie gerichtet.
Sie ertrug den Blick nicht und schaute zu Boden. »Ja, Syre – ich meine, nein.« Sie stotterte, die Hitze schoss ihr ins Gesicht, wie immer, wenn aus purem Übermut und nicht aus bösem Willen eine ihrer ach so kleinen Lügen über ihre Lippen floss. Doch wo sie herkam, erntete sie dafür nicht mehr als mahnende Worte, weil ihre Eltern sie nicht schlugen.
Sie war auf dem besten Weg, mit ihren Gedanken auf Wanderschaft zu gehen, als drei Worte sie zurückrissen. »Auf alle viere!« Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, sank sie hinab auf den kalten Steinboden. Sie wagte drei oder vier Wimpernschläge lang nicht, zu atmen. Erst als ihr die Luft fast wegblieb, sog sie den Atem hörbar ein. Syre Rand sagte nichts, sodass die erneute Stille schwer zwischen ihnen lastete.
Dann schlug er ihren Rock hoch und entblößte ihr Gesäß, strich mit seiner im Lederhandschuh steckenden Hand über ihren Hintern und beschrieb mit der Fingerspitze eine Linie, die von der Furche zwischen ihren Backen bis zu ihrer linken Pohälfte reichte. Das wiederholte er bei der anderen Hälfte ihres Hinterteils. Kaltes Leder streichelte nackte Haut. Er beugte sich tiefer hinab, bis sie seinen Atem wie ein Säuseln im Wind hörte. »Kennst du die Strafe für Ungehorsam, Morna?«
Zuerst wollte sie nur den Kopf schütteln, besann sich aber anders. »Nein, Syre Rand, ich weiß es nicht. Ich bitte Euch, verratet es mir.« Die Worte flossen aus ihrem Mund, und ihre Brust hob und senkte sich in stiller Erwartung einer Antwort. Doch Syre Rand schwieg wieder. Dafür hörte sie ein hartes Reiben, dem ein zischender Schlag auf den Stein folgte.
Eiskalte Tropfen sammelten sich auf Mornas Stirn, rannen ihre Wangen hinab und rieselten wie früher Tau auf den Boden. Syre Rand klatschte ihr leicht mit einem Gerät oder Gegenstand auf den Hintern. Obwohl sie nicht sicher sein konnte, vermutete sie nach den vorausgegangenen Geschehnissen eine Gerte ähnlich der, die von den Reitern ihres Heimatdorfes eingesetzt wurden. Für einen stummen Augenblick war sie nahe daran, ihre Beine in die Hand und Reißaus zu nehmen. Etwas tief in ihrer Brust rief ihr zu: Bleib, mach es nicht schlimmer, ertrage es.
Also verharrte sie ruhig und duldsam, nicht einmal ein Schluchzen wagte sich über ihre Lippen. Nur ihren Hintern spannte sie an, um den Schlag, der unweigerlich kommen würde, nicht unvorbereitet zu empfangen.
Sie nannte sich eine Närrin, dass sie trotz ihrer Tränen, die nicht versiegen wollten, eine seltsame Gelassenheit zur Schau trug. Da zerschnitt ein Zischen die Luft. Keinen Lidschlag später füllte der Schmerz ihren Leib mit Feuer. Er kam hart und spitz wie eine Nadel und verebbte ebenso schnell, wie er in ihr Fleisch eindrang. Trotzdem biss sie sich die Lippe wund, und zu den Tränen gesellten sich kleine blutige Sprenkel, die sich auf dem kalten Steinboden miteinander vermischten.
»Der erste Hieb ist immer der schlimmste, Morna. Sobald du ihn ertragen hast, weißt du, dass du auch die Folgenden meistern wirst.« Syre Rand tappte mit der Gerte zweimal ... dreimal auf ihr Gesäß, mied aber die Stelle, die er zuvor durch seinen Schlag malträtiert hatte. Morna nickte bloß, unterließ aber weiterhin jede Regung. Vielleicht erzürnte es Syre Rand, weil sie auf seine Worte nicht die rechte Entgegnung fand. Oder gehörte es zum Ritual der Bestrafung, dass es nicht bei einem Hieb blieb? Der zweite Schlag jedenfalls traf sie umso heftiger, weil sie nicht damit gerechnet hatte, wie rasch er auf den Ersten folgen würde.
Diesmal schrie sie auf, ein greller Schrei, der gemeinsam mit dem ungezügelten Schmerz durch ihre Adern pulste. Erst als sie ihren Atem mit einem zischenden Laut ausstieß, verließ der Schmerz ihren Körper in einem feinen, aber intensiven Zittern.
Syre Rand postierte sich nun auf Armeslänge entfernt vor ihr. Der Geruch der frisch gewichsten Stiefel stieg ihr in die Nase, das glatte Leder roch nach Mann. Sie nahm einen tiefen Atemzug davon. Das tat sie, um sich abzulenken von dem, was bald geschehen würde. Aber auch, weil sie Respekt empfand vor Männern, die sich wie besser gestellte Herren kleideten und wie diese auftraten. So war es in ihrem Dorf gewesen, wo sich der Landherr nur wenige Male im Jahr vorstellte, dann jedoch von allen seinen Untergebenen einen angemessenen Tribut forderte. Morna hatte gelernt, dass es gut war, sich dem zu fügen und nicht zu opponieren. Ihr Vater begehrte ein einziges Mal in seinem Leben auf und flehte den Landherrn um verminderte Abgaben an. Die Mutter sagte später, dass ihr Vater keineswegs gefleht, sondern gefordert habe. Als Folge jedenfalls brachen die Gefolgsleute des Landherrn dem Vater die linke Hand. Das war sicher sehr schmerzhaft und ihm auch eine Lehre. Es behinderte ihn aber nicht so weit, dass er die notwendige Arbeit nicht mehr verrichten konnte. Der Landherr wusste genau, wie wertlos ein nicht zur Arbeit fähiger Untergebener für ihn war.
Dieses Ereignis beobachtete Morna als junges Mädchen. Sie hatte sich im Haus verborgen, als das Geschrei begann, und aus Neugier durch einen Türspalt gelugt, um dann mit vor Furcht weit aufgerissenen Augen das tragische Geschehen zu verfolgen. Noch viele Tage meinte sie das hässliche Knacken zu hören, als ein Kerl mit einem schweren Holzstock auf den Arm des Vaters schlug.
»Der dritte Hieb«, riss Syre Rand sie aus ihren Gedanken. Er teilte ihn von vorne aus, wodurch er die Bahn der beiden ersten Hiebe kreuzte und mit der Schmitze den Oberschenkel streifte. Eine schmerzhafte Stelle, schlimmer als das feste Fleisch an ihrem Hintern, wie Morna voll Unbehagen spürte. Und ein guter Grund, um wieder auf die Lippen zu beißen.
Sobald auf den Schlag der Schmerz folgte, strömte ein fremdartiges Gefühl durch ihren Leib, drang in ihr Fleisch, verflüssigte sich mit ihrem Blut und trieb durch ihre Venen und Adern. Breitete sich aus wie ein Meer von Blumen, die mit dem ersten Sonnenstrahl ihre Knospen öffnen und sich dem warmen Licht entgegenstrecken. Auch Morna war versucht, ihren Kopf anzuheben, doch merkte sie, dass der Schlag sie mehr geschwächt hatte als die beiden zuvor. Ihr Körper bebte. Wieder dachte sie an die Blumen, die im sanften Wind ihre Blüten hin- und herbewegen, sich aufrichten, vom summenden Wind gebeugt werden.
Mit einem Mal riss ihre Haut auf, dort an der Stelle, wo die Gerte sie misshandelt und eine kleine Furche angedeutet hatte. Nun aber sickerte Blut aus ihrer Wunde, warm und voll Lebenskraft.
Durch einen Schleier hörte sie Syre Rand schwer atmen. Jede Faser in ihrem Körper spannte sich an beim Versuch, den Kopf eine Winzigkeit zu heben. Sie wollte ihn ansehen. Doch die Wunde – sie brannte wie Feuer!
Syre Rands Gesicht war klatschnass, der Schweiß tropfte ihm von der Stirn und vom Kinn, schwer hob und senkte sich seine Brust. Er ignorierte sogar, dass sie seinem Befehl nicht gehorchte, dermaßen vertieft war er in das Geschehen. Er starrte auf ihr Hinterteil. Sie konnte nicht anders und tat es ihm gleich.
Was sie sah, erschreckte sie so sehr, dass sie aus vollem Hals schrie. Die Stille zerriss, die sie seit dem Beginn ihrer Züchtigung einer schützenden Decke gleich eingehüllt hatte. Trotz ihrer Schreie, die von den Wänden des Dornenturms zurückprallten und in ihren Ohren gellten, hörte sie Syre Rand flüstern: »Schwarzes Blut. Sie spendet wirklich das schwarze Blut.« Beinahe andächtig sprach er die Sätze. Die Gerte wippte in seiner Hand. Aber er holte nicht zu einem weiteren Schlag aus, sondern schritt näher an Mornas zur Schau gestelltes Gesäß, das nun ein schwarzer Striemen zierte. Er tunkte einen Finger hinein in das verletzte Fleisch, nahm einen Tropfen von dem schwarzen Blut auf und zerrieb ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Blut zerstäubte und verwandelte sich von seiner flüssigen Form in eine kleine Wolke. Nein, das war kein Wölkchen, es war ein Schmetterling. Unscheinbar wie ein Nebelschleier, und flüchtig, sodass er aus Syre Rands Fingern schlüpfte und davonflog. Nicht weit, denn er löste sich auf.
Syre Rand erwachte aus seiner Starre. Er warf Mornas Rock über ihr Hinterteil. »Hoch mit dir.«
Morna folgte dem Befehl mit wackligen Beinen. Sie spürte den Schmerz, der nicht abklingen wollte, und das Blut, das in einer kleinen, aber warmen Spur an ihrem Oberschenkel hinablief. Diesmal schaute sie nicht zu Boden, sondern in die Augen ihres Peinigers. Sie fühlte, dass etwas Geheimnisvolles geschehen war, das ihr Leben veränderte.
Syre Rand hob mit zwei Fingern ihr Kinn an. Der bittere Geruch aus seinem Mund streifte ihre Lippen und stieg ihr in die Nase. »Du bist etwas ganz Besonderes«, sagte er.
Seine Augen tauchten in ihre ein. Dunkel waren sie, fast schwarz wie das Blut, das sie vergossen hatte. Sie drückten eine tiefe Sehnsucht aus. Noch nie hatte sie eine solche Glut gespürt, die ihren Anfang in der Wunde hatte, die sich nur zögerlich schloss. Von dort breitete sich der Schmerz aus, der sie eins werden ließ mit ihrer Seele. Ihre Sinne schärfte. Leben durch ihren Leib pumpte und ihr Blut erhitzte. Mornas Körper brannte lichterloh, und mit jedem Funken, der ihre Wunde verströmte, lebte sie mehr und intensiver. Sie spürte eine unendliche Sehnsucht in sich und den Wunsch, dass es nie enden möge.
Und sie wollte ihn.
In diesem Augenblick veränderte sich Morna. Selbst Syre Rand konnte den Zauber durch seine Worte nicht brechen: »Du wirst ein Diamant sein, Morna. Ein schwarzer Diamant.«
Sie begann zu verstehen, und sie lauschte ihm andächtig.
»Ich werde dich bearbeiten, damit du erstrahlst und alle verzauberst.« Er atmete tief ein. »Und dann werde ich dich Cwen Godiva zum Geschenk machen.«

http://www.crossvalley-design.de