Leseprobe: Blutfesseln II
„Was hältst du davon, einen Maskenball zu veranstalten?“ Christos lag mit gekreuzten Beinen auf der Chaiselonge und spielte mit seinem Gehstock – einem Erbstück seines vermeintlichen Onkels.
„Ein äußerst aufregender Gedanke. Bei der Gelegenheit könnten wir unser neues Spielzimmer einweihen.“ Ich war sofort Feuer und Flamme für seinen Vorschlag.
Christos schenkte mir ein Lächeln. „Dir gefällt unser kleines Separee, habe ich Recht?“
„Es wäre an der Zeit, es endlich einzuweihen.“ Ich zog einen Schmollmund. Dann setzte ich mich an den Sekretär, öffnete die oberste Schublade und holte Papier, Tinte und Feder hervor, um die Einladungen zu schreiben.
Eine Woche später standen wir an der breiten Treppe des Ballsaales, der im Licht hunderter Kerzen erstrahlte und begrüßten unsere Gäste. Christos sah blendend aus in dem weißen Hemd, der smaragdgrünen Samtjacke und den schwarzen Kniebundhosen. Er würde sicher an diesem Abend mehr als eine Eroberung machen können. Mein Kleid war ebenfalls in grün gehalten, die Haare hatte ich hochgesteckt, lediglich vereinzelte Locken kringelten sich um mein Gesicht, verliehen meiner Erscheinung etwas Unschuldiges.
Ich lächelte, als Christos das Wort an mich richtete. „Mylady, darf ich Euch den Marquis de Rochefort vorstellen.“
Huldvoll neigte ich meinen Kopf, während ich dem Marquis meine Hand zum Kuss reichte. Als er mir nach einer angedeuteten Verbeugung in die Augen sah, bemerkte ich sofort sein unverhohlenes Interesse. Wie es aussah, musste ich mir meine Beute heute Nacht nicht suchen, sie hatte mich bereits gefunden.
„Darf ich um den nächsten Tanz bitten?“ Seine Stimme besaß ein dunkles Timbre, das meine Phantasien beflügelte. Ich legte meine Hand im stummen Einverständnis leicht auf seinen dargebotenen Arm und gemeinsam schritten wir zur Tanzfläche. Der Marquis schien mir ein leichtes Opfer zu sein. Während des Tanzes warf ich Christos einen siegessicheren Blick zu, doch das, was ich in seinem Gesicht las, löste in mir Unbehagen aus. War es Eifersucht, die ich in seinen goldenen Augen funkeln sah? Nein, ich täuschte mich sicher. Schließlich waren wir Freunde, hegten keinerlei leidenschaftliche Gefühle füreinander. Irritiert wandte ich mich wieder meinem Tanzpartner zu, schenkte ihm ein verführerisches Lächeln. Das Glitzern in seinen Augen, seine ganze Körpersprache zeigte deutlich, dass er mich verführen wollte und bald hatte ich Christos erfolgreich aus meinen Gedanken verbannt.
Als der Abend zu Ende ging, verabschiedeten wir den Großteil unserer Gäste. Lediglich eine kleine illustre Runde, bestehend aus drei Frauen und drei Männern, darunter auch der Marquis, blieb übrig. Mit ihnen wollten wir unser kleines Separee einweihen, das wir extra für unser Amüsement eingerichtet hatten. Wir standen an einer Treppe, die in die Tiefe führte, als Christos eine Fackel von der Wand nahm und voraus ging. Wir anderen folgten ihm in die schwach erhellte Dunkelheit. Durch die feuchten Steine geriet ich einmal ins Straucheln. Der Marquis, der hinter mir ging, konnte gerade noch verhindern, dass ich stürzte. Dennoch stieß ich einen Schrei aus, der Christos sofort dazu bewegte, anzuhalten und sich nach mir umzusehen.
„Alles in Ordnung.“ Ich schenkte ihm ein verunglücktes Lächeln, das er erwiderte. Es erstarb jedoch umgehend, als er die Arme des Marquis um meine Taille bemerkte. Was sollte das? Diese Geste war völlig harmlos, im Gegensatz zu dem, was bald im Spielzimmer geschehen würde. Mir kam ein Gedanke. Möglicherweise bezog sich seine Aversion nur auf den Marquis. Es war vermutlich besser, wenn ich mir einen der anderen beiden Männer als Opfer auserkor. Schließlich wollte ich Christos nicht unnötig verärgern. Als er die Tür zu unserem Separee aufschloss, eröffnete sich uns eine wahre Spielwiese der Sinnesfreuden. Überall standen samtbezogene Sofas, der Boden war mit dicken Teppichen ausgelegt. Beim Anblick der Fesseln, die an Ketten von den Wänden baumelten und den Utensilien, die auf dem Sims über dem Kamin lagen, ernteten wir erstaunte, jedoch auch erfreute Blicke. Im stummen Einverständnis verriegelten wir die Tür – wir hatten die richtigen Spielgefährten ausgewählt. Während Christos im Kamin ein Feuer entfachte, entfernte ich mich unbemerkt von dem Marquis und nahm neben einem jungen blonden Dandy Platz, der sich – eitel wie ich ihn eingeschätzt hatte – sofort über mich hermachte. Auch die anderen Gäste schienen nicht mehr länger warten zu wollen und bald war in dem Raum nur noch Stöhnen und heftiges Atmen zu hören. Ich ließ meinen Blick umherwandern. Der Marquis schien sich damit abgefunden zu haben, dass ich ihm die kalte Schulter zeigte, denn er versenkte sein Gesicht soeben zwischen den üppigen Brüsten einer hübschen Rothaarigen. Christos schob sich unterdessen zwischen die Schenkel einer zierlichen Brünetten und verwöhnte sie mit seiner Zunge, was dem jungen Ding spitze Schreie entlockte. Bei dem vierten Paar ging es etwas heftiger zur Sache. Die Blondine trug inzwischen nichts außer einer Augenbinde, während ihr Herr und Meister hinter ihr stand und ihre nackten Pobacken mit einer ledernen Reitgerte bearbeitete.
Alle schienen mit sich beschäftigt zu sein und so wandte ich mich wieder meinem Liebhaber zu. Ich löste mich von ihm, nahm aber seine Hand und führte ihn zu der Wand, an der die Fesseln hingen. Er dachte wohl, er dürfte mich in Ketten legen, denn sein Gesichtsausdruck zeigte eine Spur Verärgerung, als die Handschellen zuschnappten und ihn zu meinem Sklaven machten. Als ich begann, sein Hemd aufzuknöpfen und seine nackte Brust mit meiner Zunge zu verwöhnen, entspannte sich seine Mimik wieder. Quälend langsam öffnete ich die Bänder seiner Hose und schob ihm diese über die Schenkel, während ich gleichzeitig vor ihm auf die Knie ging. Sein Speer reckte sich mir sehnsuchtsvoll entgegen, der kleine Lusttropfen an seiner Spitze lockte mich. Genüsslich leckte ich über die gerötete Eichel, brachte ihn dazu, leise zu stöhnen. Lächelnd öffnete ich meinen Mund und saugte seine Schwanzspitze in mich hinein. Unterdessen streichelte ich seine Hoden, die sich im Rhythmus der Lust zusammenzogen. Meine Bewegungen wurden schneller, ebenso wie sein Atem. Neckisch schlängelte sich meine Zunge um seinen Schaft, immer wieder saugte ich an ihm, bis ich spürte, dass er im Begriff war, sich in meinem Mund zu entladen. Sofort zog ich mich zurück, der Blonde keuchte entrüstet auf, zerrte an seinen Fesseln, sodass er sich blutige Striemen an den Handgelenken zuzog.
„Scht, mein Hübscher. Du bekommst schon noch, was du verdienst“, säuselte ich ihm ins Ohr. Spielerisch ließ ich meine Zunge über seinen Hals gleiten, knabberte an seiner zarten Haut, unter der ich deutlich seinen Puls spüren konnte. Mein Blick wanderte für einen kurzen Moment zu Christos. Hatte er bereits die Halsschlagader der Brünetten geöffnet? Ja, Blut tropfte von seinen Lippen, während er sich an ihrem Handgelenk labte. Doch das war es nicht, was mich aus der Fassung brachte. Es war sein Blick, mit dem er mich bedachte. Seine Augen glühten förmlich vor Eifersucht. Was in aller Welt war bloß in ihn gefahren? Es sah beinahe so aus, als sauge er dieses Mädchen aus, während er mit seinen Gedanken und seinem Herzen bei mir war. Ich versuchte mich von dem Anblick loszureißen. Bestimmt trog mein Gefühl und ich sah Dinge, die es gar nicht gab. Mit einem Mal verspürte ich einen nagenden Hunger. Ich verbannte Christos aus meinen Gedanken. Als sich meine Fangzähne verlängerten, versenkte ich sie im Hals des blonden Dandys. Er schenkte mir ein kehliges Stöhnen und Gefühle, die meine Blutgier anheizten. Ich trank in tiefen Zügen, während ich sein Geschlecht massierte. Als er sich in meiner Hand entlud, verschloss ich die beiden kleinen Löcher an seinem Hals mit einem heilenden Kuss, löschte seine Erinnerung. Dann wandte ich mich ab, um mir unauffällig das Blut von den Lippen zu wischen. Eine lähmende Müdigkeit breitete sich in meinen Gliedern aus. Ich sehnte mich nach ein paar Stunden erholsamen Schlaf. Schnell löste ich die Fesseln meines Blutwirtes und schob ihn sanft in Richtung des Paares, das nun dazu übergegangen war, sich mit Kerzenwachs dem Schmerz hinzugeben. Umgehend wurde daraus ein Dreiergespann und ich konnte mich ungesehen aus dem Raum stehlen und in mein Zimmer verschwinden.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als es an der Tür klopfte. Benommen griff ich nach meinem Morgenmantel und streifte ihn mir über, während ich zur Tür ging. Vorsichtig öffnete ich sie einen Spalt breit – und erkannte Christos.
Ohne zu fragen, drängte er mich zur Seite und stapfte wütend ins Zimmer. „Warum bist du ohne etwas zu sagen verschwunden?“ Sein Ärger war unüberhörbar.
„Ich war müde und du beschäftigt. Aus diesem Grund fand ich es unnötig, dich wegen solch einer Lappalie zu stören.“ Meine schnippische Antwort war ebenso kindisch wie seine Eifersucht, doch ich konnte und wollte nicht anders reagieren. Als wüsste ich nicht, worum es tatsächlich ging, setzte ich mich an meine Kommode und begann mein Haar mit kräftigen Strichen zu bürsten. Meine Worte schienen ihn trotz allem zu besänftigen, denn er trat hinter mich und massierte mir sanft den Nacken.
„Ich habe dich vermisst, das ist alles.“
Unsere Blicke begegneten sich im Spiegel, mir lief ein Schauer über den Rücken. Die Worte klagen liebevoll, doch der Unterton, der darin mitschwang, hinterließ ein ungutes Gefühl in mir.
„Der Maskenball scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein.“ Ich versuchte das Thema zu wechseln, was mir auch gelang … leider.
„Mh, und du warst die Schönste von allen. Meine Königin, meine Liebste …“
Im Spiegel sah ich, wie er sich zu mir herunterbeugte. Vergebens versuchte ich, seinem Kuss auszuweichen, denn seine Hände drückten mich wie Schraubstöcke auf den Stuhl nieder. Unfähig mich zu bewegen hoffte ich, dass er von selbst wieder zur Vernunft kam. Er würde doch nicht … Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als der Spiegel mir zeigte, wovor ich mich am meisten fürchtete. Einen Christos mit nachtschwarzen Augen und scharfen Fangzähnen, deren Spitzen mich auf eindrucksvolle Art wissen ließen, wie sehr es sie nach meinem Blut verlangte. Ich war wie gelähmt, hatte das Gefühl, im Spiegelbild zwei Fremde zu beobachten, deren Schicksal sich bald erfüllen sollte und konnte nichts dagegen tun. Als Christos seine Fangzähne in meinem Hals versenkte, wurde ich unvermittelt aus meiner Lethargie gerissen. Mein Verstand begann wieder zu funktionieren, ich wusste plötzlich, was er vorhatte. Er wollte mich mit dem Blutkuss an sich binden!
Abgesehen vom Wandlungskuss, den man von seinem dunklen Vater erhielt, solange man noch ein Mensch war, galt der Blutkuss zwischen zwei Vampiren als unwiderrufliche Verbindung.
So wählte man sich seinen Gefährten für die Ewigkeit, allein der Tod konnte die beiden dann noch trennen.
Ich war mir sicher, nachdem er von mir getrunken hatte, würde er mir sein Blut zum Geschenk machen, erst dann galt der Bund als besiegelt.
Der Gedanke war mehr als beängstigend. Ich liebte Christos, aber es war eher eine geschwisterliche Verbundenheit, die ich für ihn empfand. Wir hatten unsere Sexualität zwar immer gemeinsam, aber nie miteinander ausgelebt. Niemals würde ich seine Gefährtin im Blut werden. Niemals!
In diesem Moment ließ Christos von mir ab. Doch wenn ich geglaubt hatte, dass es nun vorbei war, hatte ich mich getäuscht. Schockiert stellte ich fest, dass er im Begriff war, sein Handgelenk für mich zu öffnen. Ich sprang von meinem Stuhl hoch, polternd fiel dieser zu Boden. „Lass das!“ Ich deutete auf sein Handgelenk. „Ich liebe dich, Christos. Doch nicht wie eine Frau einen Mann liebt, sondern eine Schwester ihren Bruder. Du wirst mich nicht dazu bringen, dein Blut zu trinken. Vorher töte ich mich. Ist es das, was du willst?“ Mir war klar, dass ich keine Chance gegen ihn hatte, wenn er es darauf anlegte, doch ich musste ihn irgendwie zur Vernunft bringen. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, griff ich nach einem Messer, das man mir mit frischem Obst auf mein Zimmer gebracht hatte und hielt es an meine Kehle. Würde er mein Schauspiel durchschauen?
„Du willst mir weiß machen, dass du dich eher töten würdest, als die Ewigkeit mit mir zu teilen? Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Aussicht auf ein Leben an meiner Seite für dich so furchtbar anmutet …“
Den Blick, den mir Christos zuwarf, bevor er aus dem Zimmer rauschte, sollte ich niemals vergessen. Ich hatte ihn gedemütigt, indem ich vorgab, den Tod seiner Liebe vorzuziehen. Noch in derselben Nacht verließ ich ihn.