Barbara Lorenz

Die Welt der Finsternis

Barbara Lorenz

Von der ersten Seite an gefesselt, fällt es auch dem Erwachsenen nicht schwer, sich mit der jugendlichen Hauptperson des Romans zu identifizieren, auch dann, wenn er selbst schon längst alte Nöte des Erwachsenwerdens hinter sich gelassen hat. Die Sprache Alisha Biondas ist so zeitgemäß, farbig und anschaulich, dass der Leser im Nullkommanichts in Brendans Haut schlüpfen und mit ihm fühlen kann. Der l6jährige Brendan ist allein bis auf seinen schwarzen Freund Ritchie, dem es nicht besser ergeht als ihm. Er wird wegen seiner Akne, seines molligen Äußeren und seiner Wehrlosigkeit von seinen Schulkameraden gemobbt und gehänselt. Obendrein noch frisch, aber unglücklich verliebt, zieht sich Brendan in die Welt der Computerspiele zurück, bis ihn ein Spiel förmlich aufsaugt, und er sich in einer Welt hinter dem Bildschirm wiederfindet. Und schon beginnt das Abenteuer!

Ein sehr farbiges Panoptikum öffnet sich: Romantik pur, Märchenwelten, Sagengestalten, Rittertum und Magie... Es ist einem, als wäre man selbst in Träume getaucht und zöge mit Brendan los. Ein Zauberer von großer dunkler Macht versucht Brendan in seinen Bann zu ziehen, und dem lesend Mitreisenden laufen die Schauder über den Rücken: Ator, der Herr der Welt der Finsternis! Er, ganz Demagoge mit grausigem Charisma, zaubert auf, macht die Spielregeln, und Brendan bleibt gar nichts anderes übrig, als sich dem Abenteuer zu stellen, wenn er wieder aus der Sache herauskommen und heimkommen will. Wird er dazu den Mut aufbringen? Das Schicksal des Spieles hat ihn am Wickel: Er muss über sich selbst hinaus wachsen, denn es gilt, einen gefährlichen Parcours zu bewältigen. Zusammen mit hilfreichen Wesen aus der Welt hinter dem Bildschirm, soll er zu einem Retter, einem Helden werden. Nun muss er seine Deckung hinter seiner Esssucht und seiner Leidenschaft für letztlich sterile Computerspiele aufgeben und handeln, denn diese Welt lässt sich ganz real an. Kälte und Hunger sind spürbar. Er ist ganz dort mit Leib und Seele, und kein Ausschalter kann ihn nun erlösen. Weit mehr noch: Jenseits seiner eigene Belange und Kümmernisse, ist er aufgefordert, für andere, ja für das Gute selbst einzustehen. Er hat den Auftrag, den Zauber Ators rückgängig zumachen, eine ganze Welt von dem Bösen zu befreien, das dieser bewirkte.

So ist das Buch Alisha Biondas nicht nur ein prächtiger Abenteuerroman mit mitreißender Aktion, sondern er hat auch reichhaltig Botschaft mit Tiefgang, die sich dem Leser auf spielerische Weise erschließt. Indem Brendan lernt, Schicksal anzunehmen und zu meistern, selbst Toleranz zu üben und sich für das Gute zu engagieren. Indem er sich selbst hintanstellt, wächst er, wird schlank und stark. Wer einmal selbst in einem Problem festzusitzen glaubte, konnte oft an der eigenen Person erfahren, wie sehr einem Einsatz für andere und für höhere Ziele selber aus dem Loch herauszuholen vermag.

Brendan wird gefordert und dadurch gefördert. Seine Wegstrecke durch das Spielgelände ist voller Unbilden und Gefahren. Sie hat etwas von einem Pilgerweg, von Parzivals Reise, und auch Versuchungen und Verluste bleiben ihm nicht erspart. So erkennt er beispielsweise eigenes schuldhaftes Zutun, muss hinnehmen, dass eigene Intoleranz und Voreiligkeit Schlimmes anrichten können, dass übertriebene Aggression unter anderem sogar einen selbst schädigen kann. Über eine lange Strecke hinweg muss er erst einmal schrumpfen, ehe er zu wachsen beginnt. Als er zu guter Letzt an seinem Ziel ankommt, ist er nicht nur innerlich, wie äußerlich gewachsen, sondern er hat sich ein großes Stück selber kennengelernt und ein wenig mehr von der Welt, wie und worum sie sich dreht, verstanden.

Brendans Reise ist ein Weg in die Beweglichkeit und die Eigenverantwortung, ein Weg ins Leben. Schließlich besteht er seine Prüfungen und kann wirklich Gutes tun. Die Welt hinter dem Monitor entlässt ihn wieder in sein eigenes, echtes Leben und in die Umgebung, die ihm nun wieder alte und neue Prüfungen hinhält. Er nimmt sie an.

Wer das Buch nun zuklappt, lehnt sich im Sessel ein wenig zurück und blickt in sich. Alishas wundervolle, zum Teil auch sehr poetische Bilder hallen nach. Etliche pfiffige und humorige Passagen und der flotte, sehr ansprechende Schreibstil der Erzählung hinterlassen ein Schmunzeln auf den Lippen und machen Gusto auf mehr. Man hat das Gefühl, ein echtes Abenteuer selbst erlebt zu haben, und man fragt sich, wie es mit Brendan nun wohl weitergehen wird. Sicher wird er es schaffen! Und wir, was werden wir tun? Vielleicht haben wir selbst etwas für unser Leben mit auf den Weg bekommen, vielleicht einen kleineren oder größeren Auftrag?

“In unserer Gesellschaft ist kein Platz mehr für Menschlichkeit.. Alle rennen hektisch durch die Straßen, immer nur den eigenen Vorteil vor Augen. Wir leben in einer Ellbogengesellschaft, in der kein Platz für Schwache ist... Wenn ich es recht bedenke, ist Ator mit seinen Schattenwesen dagegen noch das kleinere Übel.” (S.357)

Folgen wir Brendans Spur!

Barbara Lorenz *Balo*, "Rhabarera"