Das Geheimnis des Geigers

Andreas Nordiek –Fandom Observer Nr. 214 –April 2007-04-01)

Im BLITZ-Verlag erscheinen bekanntlich ganz unterschiedliche Reihen.
Neben den Weiterführungen und Wiederveröffentlichungen von längst eingestellten SF- und Horrorserien, die seit Jahren einen festen Leserkreis ihr eigenen nennen, zählt die Reihe "Sherlock Holmes Criminal Bibliothek" sicherlich zu den Exoten im Verlagsprogramm.
Wie der Name der Reihe es bereits verdeutlicht, finden sich hier neue Romane und Kurzgeschichten rund um den wohl bekanntesten britischen Detektive der Literaturgeschichte. Wie Dr. Klaus-Peter Walter in seinem Vorwort völlig richtig beschrieb, ist Sherlock Holmes "in jedem Sinne unsterblich" und die Verfilmungen, Romane und Kurzgeschichten mit seiner Person sicherlich unüberschaubar geworden.

Alisha Bionda versammelt in dieser Kurzgeschichtensammlung sechzehn neue Geschichten, durchweg verfasst von deutschsprachigen Autoren. Viele von ihnen sind bereits seit Jahren im phantastischen Bereich schriftstellerisch tätig.
Obwohl 16 Autoren/-innen die sicherlich vorhandenen Vorgaben sehr unterschiedlich angegangen sind, zeichnet sich ein düsteres Gesamtbild von Sherlock Holmes ab. In vielen Geschichten wird er als Morphium oder Kokain abhängig und depressive Phasen durchlebend beschrieben. Zurück ins wirkliche Leben scheint er nur zu finden, wenn sein genialer Geist mit einem überaus knifflig erscheinenden Kriminalfall gefordert wird.
Dann ist er von einem auf den anderen Moment hellwach.

Sein langjähriger Freund und Mitbewohner Dr. Watson versucht sich gerade dieses zu Nutze zu machen, um seinen Freund von den Vorbereitungen für dessen Geburtstagsparty abzulenken.
Was wäre besser dazu geeignet als Holmes Genius auf fingierte Verbrechen anzusetzen? Dr. Watson gibt sich in "Das Renardi-Komplott" von Christian von Aster wirklich alle erdenkliche Mühe, muss allerdings am Ende beschämt feststellen, dass er dem Genie seines Freundes nicht gewachsen ist. Vielmehr muss er noch froh
sein, dass sein Freund nicht alle Welt von seiner Leichtgläubigkeit einem Betrüger gegenüber erzählt und ihm so dem Gespött aussetzt.
Andreas Gruber verbindet in "Glauben Sie mir, mein Name ist Dr. Watson!" die Thematik der Zeitreise mit einer Detektivgeschichte. Hierbei handelt es sich um die einzige Story, die ein eindeutig phantastisches Element als handlungstragend benutzt. Wie so häufig wird die Geschichte aus der Sicht von Holmes Chronisten Dr. Watson erzählt.
Als Holmes und Watson der Einladung eines Wissenschaftlers zur Darbietung seiner neuesten Erfindung folgen, ahnen sie nicht, dass durch die Apparatur ein Tor zu anderen Universen aufgestoßen wird. Universen in denen Holmes und Watson lediglich literarische Erfindungen sind. Andreas Gruber nutzt wie viele vor ihm tatsächlich existierende und Romanfiguren für seine Story, die für den kundigen SF-Leser wenig überraschendes bietet, für den reinen Krimileser aber sicherlich ein etwas ungewöhnlicheres Lesevergnügen bietet. Andreas Gruber zeigt, dass auch etwas außergewöhnlichere Ideen mit den gemachten Vorgaben dieser Anthologie übereinzubringen sind.

Ebenso ungewöhnlich ist "Der Vorfall" von Hermann Agis, in dem Dr. Watson etwas Schreckliches entdeckt und nicht weiß, wie er damit umgehen soll. Er bringt Sherlock
Holmes mit dem ebenfalls legendären Jack, the Ripper in Verbindung. Allein schon die Illustration zu dieser Geschichte läßt einem erschaudern.
Sie zählt sicherlich zu den emotionalsten Geschichten dieser Ausgabe. Hermann Agis ist es gelungen seine Idee
mit wenigen Worten packend umzusetzen. Eines der Highlights dieses Sammelbandes.

Eine sehr persönliche Seite beleuchtet Stephan Peters in "Ein Fall von Nekrophilie".
Allein der Titel läst einem schon aufhorchen, denn Holmes und Nekrophilie? Die Idee hinter dieser Kurzgeschichte funktioniert aber. Sie geht auf Holmes und seine Liebesbeziehungen ein, die ja mehr als spärlich waren. Stephan Peters konfrontiert den großen Detektiv mit seiner ersten großen Liebe. Solche Facetten des Sherlock Holmes sind allemal interessanter zu lesen als eine Vielzahl der in Kürze ausformulierten Detektivgeschichten.

Die längste Geschichte dieser Sammlung stammt von Arthur Gordon Wolf und trägt den Titel "Die Blaue Taube". Sie zählt für mich zu den besten Geschichten, denn sie vereint vieles, was andere nur anreißen. Dr. Watson, der treue Gefährte des genialen Sherlock Holmes, kann es nicht mehr mit ansehen, wie sein Freund sich langsam aus dem Leben verabschiedet. Einzig eine entsprechende Herausforderung kriminalistischer Art scheint als Heilmittel zu dienen und so inszeniert Dr. Watson zusammen mit
einem Freund einen Fall für Holmes. Nur leider kommt Holmes nicht nur der von Dr. Watson gelegten Spur auf die Schliche, sondern findet am "Tatort" noch eine weitere.
Diese verlangt Holmes sein ganzes detektivisches Wissen ab. Er verbeißt sich regelrecht in ihr und Watson, der eigentlich seinen Freund nur aus dessen Lethargie herausreißen wollte, muss staunend mit ansehen, wie Holmes nach und nach ein tatsächliches Verbrechen vor ihm ausbreitet.
Die Story besticht durch einen durchdachten Handlungsbogen, dem genügend Raum zur
Verfügung steht, um sich zu entwickeln. Angereichert mit einer etwas ausgeklügelteren Idee, die anspruchsvoller ist wie viele andere.
"Die Blaue Taube" ist wirklich lesenswert.

Dies mag als Auswahl genügen.
Mir hat "Das Geheimnis des Geigers" einige vergnügliche Stunden bereitet und ein Wiedersehen mit einem der wohl berühmtesten Detektivfiguren der Literaturgeschichte beschert.
Nicht nur für Fans von Sherlock Holmes und Dr. Watson eine in Teilen sehr lesenswerte Zusammenstellung.