DAS REICH DER KATZEN

Leseprobe: DAS REICH DER KATZEN

Da waren zwei Augen. Zwei feurige Augen, die Onisha anstarrten. Sie gehörten zu einem Katzengesicht von reiner, orientalischer Schönheit. Es wurde von diesen kalten seelenlosen Augen beherrscht. In ihnen funkelten aberhundert Sterne.
Onisha wusste sofort, dass sie Lavina vor sich hatte. Lavina erinnerte sie an eine Abessinierin. Schlank, mit rotem Fell, das einen Schimmer Braun trug, überragte sie Onisha mit ihrer riesenhaften Gestalt. Ihre Ausstrahlung war von berückender Schönheit. Aber das täuschte nicht über ihren wahren Charakter, der wie eine Bedrohung im Raum schwebte, hinweg. Lavina hatte ein schönes Antlitz, eine wunderbare Gestalt, aber ihr Herz war hochmütig und schlecht. Sie freute sich, wenn sie andere beherrschte und ihnen Schmerz zufügen konnte. Sie war eine dieser Untoten. Aber sie brauchte kein Blut, sie stahl ihren Opfern die Seele.
Lavina sah Onisha unverwandt an und ihre Augen waren kalt wie Eissplitter. Onisha fröstelte. Ein Gefühl der Lähmung überkam sie. Schon allein Lavinas Blick konnte dem Opfer die lebensspendende Wärme entziehen. Dessen Seele auf Eis legen. Onisha hatte noch nie ein Lächeln gesehen, das sie so sehr frieren ließ.
»Ich habe schon auf dich gewartet und bin erfreut, dich zu sehen, Onisha.« Lavina zeigte ihr Lächeln, bei dem sich jedes einzelne Haar an Onishas Körper sträubte. »Es wurde auch allmählich Zeit, dass wir uns endlich begegnen.«
Onisha hielt Lavinas Blick mutig stand und nickte widerstrebend. Sie wunderte sich, woher sie die Ruhe und vor allem die Selbstsicherheit nahm. »Es wurde wirklich Zeit«, sagte sie leise.« Du hast schon zu viel Unheil angerichtet!«
Lavina lachte kalt. »Und du gedenkst mich daran zu hindern?«, fragte sie und Onisha hörte aus ihrer Stimme deutlich, wie amüsiert die Magierin war.
»Ich werde es zumindest versuchen«, erwiderte Onisha ernsthaft.
Lavinas Blick streifte sie mit eisiger Verachtung. »Was willst du mir schon entgegenhalten, verwöhnte Göre?«
Onisha schwand der Mut. Da war wieder die hämisch flüsternde Stimme in ihr. Gibst du schon auf?, wisperte sie. Dachte ich es mir. Du bist eine Jammergestalt! Aber da war auch wieder das geflüsterte Sachmet, Sachmet. Und mehr noch: Du hast die Kraft der Sachmet. Gebrauche sie!
Onishas Körper reckte sich. »Warte es ab!«, sagte sie. Sie wußsse nicht, wie sie es schaffte, so viel Überzeugung in ihre Stimme zu zaubern, aber sie war plötzlich wieder da.
Lavinas schräg gestellte Augen musterten sie. »Gut«, sagte sie, aber es klang keineswegs zufrieden. »Ich zeige dir erst einmal meine Wirkungsstätte, damit du weißt, mit wem du dich eingelassen hast.«
»Das weiß ich bereits: mit einer machtbesessenen Mörderin!« Onishas Stimme klang schneidend und schuf eine Grenze zwischen ihnen. Zerstörte den Plauderton. Sie sollten nicht so einträchtig miteinander reden.
Lavina stutzte, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. »Du machst mir wirklich Spaß! Mehr als ich mir jemals hätte träumen lassen.« Ihre Augen verengten sich. »Doch genug geredet, jetzt lass uns gehen!«

Das Tal der Träume unterschied sich nicht wesentlich von der realen Welt. Lavina führte Onisha durch einen dichten Wald. Als die Bäume zurückwichen und den Blick auf Lavinas Behausung freigaben, stieß Onisha einen heiseren Schrei aus. Sie standen vor einer gigantischen Pyramide aus Kalksteinblöcken, deren Eingang aus polierten Granitplatten bestand. Eine steinerne Treppe führte hinauf.
Lavina stieß einen kehligen Laut aus. Ein einziger hastig hervorgestoßener Befehl und eine der riesigen Steinplatten fuhr geräuschvoll nach oben. »Folge mir«, befahl Lavina.
Onisha trippelte hinter der Großkatze her. Vorsichtig sah sie sich um. Doch in dem großen Raum, in dem sie sich jetzt befanden, war nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Kein Malereien und keine Hieroglyphen an den Wänden. Auch keine Zeichen des Bösen Nur tiefe Stille. Doch die hatte nichts Anheimelndes. Im Gegenteil. Onisha ersticke beinahe daran.
Lavina führte sie durch enge Gänge immer tiefer in die Welt der Pyramide hinein. Schatten an den Wänden begleiteten sie und gaben Onisha zu verstehen, dass sie vielleicht doch nicht so allein waren, wie sie angenommen hatte. Onisha wurde innerlich immer kleiner. Was für eine dämliche Idee, allein mit Lavina Kontakt aufzunehmen, dachte sie. Lavina schien in ihren Gedanken wie in einem offenen Buch zu lesen und lächelte zufrieden. Aber es war zu flach, zu aufgesetzt. Und aus diesem Grund konnte es Onisha nicht mehr erreichen und einlullen. Alles wirkte so unwirklich um sie herum und ihre Freunde waren weiß Gott wie weit weg. Auf welches Spiel hatte sie sich da eingelassen?
Endlich schienen sie am Ziel zu sein. Sie betraten eine riesige Höhle und Onisha wußte sofort, dass es ein besonderer Ort war. Eine besondere Aura lag in der Luft. Und hätte Onisha es nicht gespürt, hätte es ihr der Stein der Weisen verraten.
Er glühte plötzlich und warf helle Lichtblitze gegen die Wände.
Lavina starrte fasziniert darauf. »Dachte ich es mir doch!«, flüsterte sie und sah plötzlich noch eine Spur zufriedener aus. Ihre kalten Augen musterten Onisha, wie ein Frosch eine Fliege betrachtet, die er verspeisen will.
Onisha hielt dem Blick stand und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Der Stein sandte weitere Energieschübe ab. Etwas wie wohltuende Wärme zog in ihren Körper. Aber auch etwas völlig anderes. Etwas, was Onisha nicht kannte, ihr aber wieder Selbstvertrauen gab.

Die Wände der Höhle waren mit mystischen Zeichnungen und Symbolen bedeckt. Auf einigen Felsvorsprüngen standen Kerzen und Schalen mit stark duftenden Substanzen. Am eindrucksvollsten war jedoch der steinerne Altar in Form eines Kreuzes, das Symbol der größten Macht des Universums. Doch dieses Kreuz stand auf dem Kopf.
Onisha stöhnte. »Allmächtiger«, entfuhr es ihr.
Lavina grinste hässlich. »Der kann dir hier auch nicht mehr helfen!«
Da wusste Onisha: Sie war blindlings in die Falle getappt. Wie konnte ich du nur so dumm sein?, fragte sie sich.
Lavina warf den Kopf in den Nacken und begann unverständliche Worte zu murmeln.
Onisha folgte dem Blick und maunzte leise auf vor Erstaunen. Die Höhle ließ direkt über dem Altar einen Blick in den Himmel frei. Onisha hatte das Gefühl, aus dem Erdreich genau durch die Spitze der Pyramide in den Himmel zu blicken.
Lavinas Murmeln wurde lauter, ging in einen monotonen Singsang über und plötzlich schoss ein Blitz in die Höhle hinab und fuhr durch den Körper der Magierin. Onisha zucke zusammen. Lavinas Katzenkörper wurde plötzlich von einem grellen Lichtmantel umgeben, flackerte heftig und wechselte in rasantem Tempo die Gestalt.
Ihre Seele schlüpfte in eine menschliche Gestalt.
Onisha hatte Mühe, nicht vor Angst zu zittern. Lavina war ihr ohnehin haushoch überlegen gewesen, aber jetzt in Menschengestalt war ihre Übermacht geradezu grenzenlos. Lavina hob die Hand und Onisha duckte sich. Doch der erwartete Schlag blieb aus. Lavina schnippte mehrmals mit den Fingern und aus den Tonschalen stiegen würzig-benebelnde Schwaden zahlreicher Räucherkerzen auf. Auch die Kerzen entflammten sich wie durch Geisterhand. Das schummrige Licht vollendete Lavinas Schönheit.
Waren es die Fackeln Luzifers?
Onisha war sich sicher, dass die Magierin mit dem Teufel im Bunde stand. Und wenn es so war, sah es schlecht für Onisha aus. Fieberhaft überlegte sie, wie sie die Gegnerin besiegen konnte.
Sie hatte nur eine Möglichkeit.
Der Stein der Weisen, dachte sie. Er ist das einzige Druckmittel, das ich gegen sie habe. Aber wie soll ich ihn gegen sie verwenden?
Wieder schien Lavina ihre Gedanken zu lesen, denn sie fuhr herum, musterte Onisha und schnaubte böse. Für einen Moment glaubte Onisha zu sehen, wie sich etwas von Lavinas Körper zu lösen begann. Doch dann hob die Magierin ohne jegliche Vorwarnung die Hand und schlug mit voller Wucht Onisha ins Gesicht.
Als Onisha wieder zu sich kam, war sie außerstande, sich zu bewegen. Es dauerte eine Weile, bis sie einen klaren Kopf bekam und erkennen konnte, warum sie unfähig war sich zu rühren: Sie lag gefesselt auf dem Altarkreuz. Lavina beugte sich über sie. »Heute Abend, bei zunehmendem Mond, wird es möglich sein«, murmelte sie. Ihre Stimme war gefährlich sanft. Dann lachte sie gehässig. »Und du wirst meine Eintrittskarte zu der Macht sein, die mir schon lange zusteht. Nichts wird mir mehr im Wege stehen. NICHTS!« Ihr Lachen wurde schriller. »Ich werde dein Fleisch essen. Kybele hingegen gehören deine Beine und dein Schädel.« Lavina warf den Kopf in den Nacken und brach erneut in wildes Gelächter aus.