Der Drang nach innen, nicht außen (1986)

Leseprobe: Der Drang nach innen, nicht außen (1986)

I
Noch nie zuvor war es im fernen Shuruppak derart trocken und beständig warm geblieben, obschon der Herbst bereits seine Würde an der des Winters zu messen hatte. Seit Wochen drückte die Luft klamm, schwer und flammend, dass sich bei Tage die grasigen Ebenen schwefelgelb wellten, und des Nachts die Schwärme rauschender Fledermäuse ihr reiches Mahl an den Insekten fanden, die wie feiste Nebel über dem Land standen und surrten. Kein Mensch und auch sonst kein menschenähnliches Wesen trieb es hinaus, wenn die Dunkelheit das Land abzukühlen suchte. Dann saßen sie in ihren Hütten und Behausungen, entzündeten die Binsen ihrer Lampen, die sie mit Tierfett füllten und schüttelten ihre Häupter, welch eine Narretei die Götter mit ihnen spielten, dass der Sommer und der Herbst nicht zu gehen trachteten. Trieb Lewnus, die Sonnige ihren Schabernack mit ihnen? Vielleicht, so mutmaßten sie, war N'Getal, der über die Kälte und Dunkelheit des Winters wachte, erbost, weil das Opfer ihm zu Ehren im vorangegangenen Jahr klein ausgefallen war. Manch einer begrüßte die Lage, da die Wärme ein freundlicherer Kamerad war als sein bärbeißiger Widerpart mit dem eisigen Griff. Doch viele ahnten, dass es dem Land schadete und dass die Einbuße daraus erst im nächsten Jahr zu sehen sein würde.
Zu eben jenen ersten Leuten zählte ein Mann, den sie Kokiduhasch nannten. Er war ein Sammler, der die Erträge der Erntemonate gehortet, sich selbst einen zufriedenen Mann nannte. Was möglich war, hatte er eingelagert und daher hieß er es einerlei, ob der Winter nun warm blieb oder mit den kalten Nordwinden plagte. Überhaupt war Kokiduhasch genügsam und glücklich. Unbescholten sammelte er Pistazien, Mandeln und Einkorn, Linsen, Bohnen und die Raupen einer großen Falterart, sowie einige Kräuter, die als Tee aufzukochen oder als Tabak zu rauchen waren. Von ihnen lebte er, oder er tauschte sie in den schlechten Monaten gegen andere Güter. Aber zum ersten Mal in seinem jungen Leben sorgte sich der Mann Kokiduhasch, denn all die Reden der Leute verwirrten ihn und was die Alten sprachen, die den Anbeginn der Welt gesehen, verhieß Unheil. Oft saß er da, lauschte der Schwarzseherei und fragte sich, was daran sei. Er konnte es nicht schlecht finden, wenn die Mandelbäume öfters ihre Früchte trügen und auch die Raupen der Falter über das ganze Jahr verteilt zu finden wären. Es brachte ihm Wohlstand und in Aussicht, die Erfüllung seines größten Traumes: bald ein Weib zu finden und der Welt Kinder zu zeugen.
»Wenn es das ist, wonach du suchst«, sagte ein trinksüchtiger Greis eines Abends zu ihm, »dann musst du nördlich ziehen, Junge, denn dort liegt unsere größte Siedlung, ChenindA. Daselbst liegen die Mädchen mit ihren bleichen Leibern glänzend an den Stränden der See, wie die Raupen der Nurruda. Da kannst du wählen, wie es dir gefällt.«
Dieser Gedanke war es, der Kokiduhasch nicht mehr losließ, und so machte er sich einige Tage danach auf in das reiche ChenindA.
Im Sommer war es ein Ort der Vergnügungen, denn hier verkaufte man auf offenen Märkten Frucht und Getier, Freude und Zerstreuung. ChenindA schlief niemals und seine Straßen lagen schattig unter den Kronen ungewöhnlich mächtiger Mandelbäume. Alles roch nach Mandeln und Labdanum. Und der Greis hatte nicht gelogen, denn als Kokiduhasch auf die steinerne Promenade trat und zum Strand hinabsah, fand er die Frauen und Mädchen dort liegen und sitzen, eine jede fadennackend, die Wärme und das Licht der Sonne reflektierend als sei jede Gestalt ein wohlgeformter Strahl. Ihre Stimmen und ihr Lachen wob sich mit den schwülen Winden zu einem scharmierenden Schleierstoff, der einem über das Gemüt strich. Eine Weile schaute Kokiduhasch hinab und fand in seiner Erinnerung kein natürlicheres Bild, als jenes, das sich ihm offenbarte. Die sanften Bühle goldenen Sands mit den sinnlichen Kurven all der Frauen vor dem sich wiegenden Horizont einer türkisen See mutete wie ein Bild an, dass Götter sich malten.
Kokiduhasch stand da, traute sich nichts anderes als zu schauen und innerlich zu beben.
Eine, so sagte er sich, würde dabei sein, die er lieben und ehren konnte, und die ihm zum Dank viele Kinder schenken würde.

II
Zum Strand hinab durfte freilich kein Mann. Die Stadtmiliz hatte ein Auge darauf, allzu willige Männer davon abzuhalten. Wer sich ein Mädchen zu suchen gedachte, musste sie von der Promenade aus erspähen und einen der Garde bitten, sie heranzuholen. Das freilich kostete einen Obulus und wenn es sich dann als die Falsche erwies, war die Münze verloren. Für manch einen mochte es ein teures Vergnügen werden und daher hielt sich der Andrang des Mannsvolkes in Grenzen. Gaffer und Lüstlinge wurden, wenn sie nur schauten und nicht zu zahlen bereit waren, verjagt.
Erst der barsche Ton eines Gardisten mahnte Kokiduhasch, weshalb er hierher gekommen war. Noch einmal sog er das wunderschöne Bild der Nixen an den Gestaden des Zuerischen Ozeans in sich auf, tatsächlich aber gehörten seine Augen bereits einem Mädchen, welches er nur als dunklen Fleck auf der blassen Karte entblößten Fleisches zu erkennen im Stande war. Er gab dem Gardisten eine Fingerlänge Münzen und fragte nach eben jener Frau, nach der jener sogleich schickte. Sie erhob sich mit dem Stolz und der Kraft eines freien Wilds, raffte ein zartes Tüchlein um ihre Blöße und schritt wie eine Fürstin unter Königinnen heran, kam die Treppe herauf und trat vor Kokiduhasch hin.
Das Mädchen war jung, besaß seine Größe und lange, dunkle Glieder von feinstem Schnitt. Ihr langes Haar war schwarz wie das Gefieder eines Raben und ihre Augen dunkler noch wie Zedernholz. Von sich aus wandte sie sich mit keinem Wort an ihn, nur ihr Blick war wie das Betrachten eines flammenden Infernos. Als Kokiduhasch fragte, erfuhr er, dass ihr Name Anahdee und sie gebürtig aus dem fernen Kariopeia war, wo sich das Volk die affenähnlichen Hominiden als Sklaven hielt. Man sprach auch davon, dass sie sich mit diesen Halbmenschen paarten und dass die Hälberlinge, die daraus hervorgingen, unbehaart, dunkelhäutig und braunäugig seien. Dem Menschen ähnlicher waren sie dennoch außerstande mit klarer Stimme und verständlichem Wort zu sprechen. Anahdee hingegen nannte ihren Namen mit der Reinheit und Gelahrtheit eines Hochmenschen und auch der Schnitt ihres Schädels war fein und trefflich.
Kokiduhasch war entbrannt. »Anahdee, ich fand mit dir, was ich gesucht. Ich zahle für dich, um dich mit mir zu nehmen und mit dir zu teilen, was es zu teilen gibt. Jedoch will ich deinen Willen nicht umgehen, und dich fragen, ob auch ich dir gefalle. Ich bin kein Prinz und nicht vermögend. Ich bin nur ein Mann, aber mein Auskommen ist außerordentlich, und wenn du keinen Anspruch auf große Güter legst, soll es dir ansonsten an nichts mangeln.«
»Kokiduhasch«, sagte sie, »sprich nur dann mit mir auf diese Weise, wenn dir an mir gelegen ist, denn mehr wirst du nicht bekommen, aber auch nicht ein Quentchen weniger. Prinz oder Hirte, ganz gleich, doch es erfordert mehr als einen Mann, aus mir die Frau für ein Heim zu machen.«
Und er, der es für eine Herausforderung hielt, antwortete: »Ich will dir mehr sein als du erwartest. Gib mir deine Hand und lass uns gehen.«
Sie reichte ihm ihre Hand und mahnte dagegen: »Bedenke Kokiduhasch, da ich noch Jungfrau bin, hat der Herr über ChenindA das Recht auf die erste Nacht mit mir.«
Nicht ohne die eisige Klinge des Grams im Herzen willigte Kokiduhasch ein, denn in jenen Tagen war es so Brauch in Shuruppak.

III
Als Anahdee mit ihm heimkehrte, begrüßte man sie feierlich, und in der Nacht danach teilten sie das Lager miteinander, um sich zu verbinden. Die Früchte Anahdees waren derart voll und süß, ihre Reize ebenso mannigfaltig, dass sechs Tage und sieben Nächte vergingen, ehe Kokiduhasch von ihr lassen konnte. Am Morgen des folgenden Tages sagte er zu ihr, er wolle sie nicht nur als sein Weib, sondern alsbald auch als die Mutter all seiner Kinder. Anahdee antwortete: »Meines Herrn Wunsch will ich mich nicht entziehen, doch will ich erst aus diesem dürftigen Obdach eine Heimstatt machen. Es ist viel Zeit für dich und mich, mein Liebster, und Eile ist nicht vonnöten.«
Das verstand Kokiduhasch, übte keinen Einspruch und arbeitete hart und sammelte viel, um seinen Wohlstand zu festigen und zu mehren. Anahdee vergrößerte das Haus und begrünte den Hof, und des Nachts war sie ihm die Fülle an Verführung. Manchmal kamen Verwandte Anahdees zu Besuch, Brüder und Onkel zumeist, aber sie blieben stets nur während des Tages und waren gegangen, bevor Kokiduhasch zurückkam. Einmal fragte er, ob ihre Familie ihn nicht mochte, dass sie den Herrn des Hauses nie zu treffen suchten. Anahdee erwiderte, dass dies keinesfalls so sei, jedoch wäre deren Heimreise lang und müsse schnell fortgesetzt werden, denn sie seien stets händlerisch unterwegs und nur auf einen Sprung abgestiegen, um zu sehen, wie es ihr ginge. Sie verlangte ihm Milde ab und küsste ihn, dass Kokiduhasch besänftigt war.
Auf diese Weise vergingen Monat um Monat. Als der Winter sich entschloss, doch noch einen kurzen Besuch zu machen, war er für viele schon zu einem Fremden geworden, den man freundlich empfing, aber umso lieber wieder gehen sah. Und in einer dieser kalten Nächte, als Kokiduhasch und Anahdee trunken von der Liebe des anderen beieinander lagen, da wandte er sich erneut an sein Weib. »Haus und Hof sind nun massiv und begrünt, und unsere Keller voll mit allem, was wir brauchen werden. Du bist die süßeste Frucht dieser Welt und nichts sehnlicher wünsche ich mir, als deinen Kern und meinen Kern zu säen, um zu sehen, was daraus werde.«
Anahdee strich ihm liebevoll den Schweiß von den Brauen und erwiderte: »Es ist nicht an mir, Liebster, dir etwas abzuschlagen, zumal ich weiß, dass es dir ein Herzenswunsch ist. Doch weder du noch ich sind Ackervolk und wüssten keine Leibesfrüchte von ebensolcher Süße zu ziehen, wie wir sie uns wünschen. Mein Kokiduhasch, Sammler sind wir, und bedenke nur, dass man sich nicht über sich erheben soll.«
Die Arme zog er zusammen und wandte sich ab. Sie aber ließ es nicht zu, zog ihn auf sich und meinte: »Wenn es dein Herzenswunsch ist, mein Gebieter, dann befruchte meinen Acker und wir werden sehen, was gedeiht.«
»Nein, Anahdee. Zu klug ist es, was du sagst, doch, so befürchte ich, mein Traum wird nicht verlöschen.«
»Dann, mein Mann, tue, was du am besten kannst. Sammele Menschen und Seelen um dich und gründe eine Stadt. Du wirst ihr Vater sein und ich ihre Mutter. Dies Land ist reich genug.«

IV
Eine Weile ging Kokiduhasch mit den Keimen dieses Gedankens schwanger, wässerte sie und schaute auf die zarten Knospen, die sie trugen. Seine Liebe und Hingabe zu Anahdee führten ihn aber zur Aussaat und als er zwei hungernde und bettelnde Waisen zu sich lud, empfing Anahdee sie herzlich. Die beiden Jünglinge hießen Nisag und Garanda. Kokiduhasch baute ihnen ein Haus neben dem seinen und lehrte sie, was zu sammeln wert war. Er war ihnen Vater und Anahdee ihnen Mutter, der sie zur Hand zu gehen hatten, wie es sich für Kinder gehörte. Und daraus schöpfte Kokiduhasch Gefallen und lud weitere Wesen auf sein Feld, mit ihnen zu wohnen, zu leben und zu teilen. Es trafen sich die dunkelhäutigen Kartanier, die Darathener mit ihrem starren Blick, selbst einige der hochgewachsenen Weldecen wollten hier leben, die beheimateten Akurgalen und die gestrengen Roritanier blieben nicht aus, und einiges an Volk aus Shuruppak. Sie alle taten sich zusammen und vergrößerten den Brunnen, legten Feld, zogen Strauch und Baum, schnitten Stein, schlugen Holz und bauten einen Steg für einen Fischer. Sie halfen einem Bauer, die Saat für seinen ersten Acker zu erhalten und schon bald gedieh es an allen Orten und allen Wegen. Kokiduhasch versammelte nach einem Jahr schon die Vielzahl seiner Kinder, waren sie nun jung oder alt, am Dorfbrunnen und sagte, er wolle die Siedlung eine Stadt nennen und ihr den Namen Hiliaka geben, was soviel hieß wie "schönes vollbringen". Und in allen Belangen, die dem Frieden und der Ehre gereichten, fühle er sich verpflichtet, zu helfen, wie auch seine Söhne Nisag und Garanda diesem Bund zugehörten. Ein jeder seiner Tage war erfüllt von den Angelegenheiten seiner Schar und seiner eigenen Arbeit. Erst wenn die Sonne am Rand des Meeres versank, kehrte er heim zu seiner Frau Anahdee. Für eine Weile hielt es ihn erfüllt. All das Wachsen und Versammeln, doch schon bald kehrte er sehnsüchtiger heim, war ihm doch längst bewusst, dass nur Anahdee es vermochte, sein Herz zu beschwingen. Er sehnte sich nach ihrer Wärme und nach den gemeinsamen Stunden, die immer seltener geworden waren, denn sie wandte all ihre Zeit für Nisag und Garanda auf.
Eines Abends aber, als er sich hinterrücks zu ihr legte, beide müde und bekümmert, sagte er: »Alles wächst und gedeiht und ich denke, wir haben wohlgetan. Es wird uns Ehre bringen und Hiliaka wird eine Heimat sein. Ein Herd, ein Hof und eine Mutter und ein Vater.«
Anahdee strich ihm über die Arme, die sie umschlungen hielten. »Ja«, sagte sie, »das ist gut zu wissen. Bis in unser hohes Alter werden wir ein wachsendes Heim um uns haben.«
»Es stimmt zwar, dass es weiter wachsen wird, aber es wird uns auch immer fremder. Umso größer will mir scheinen, kehrt mein Wunsch zurück, mit dir eigene Kinder zu haben, die hier mit uns aufwachsen und leben sollen.«
Und ohne sich ihm zuzuwenden sagte sie: »Dann sei beruhigt, eines deiner Kinder trage ich bereits unter dem Herzen.«

V
Im nächsten Sommer gebar Anahdee einen prächtigen Sohn, der den Namen Ragaba bekam. Er war Kokiduhaschs ganzer Stolz, doch als er ihn seinen angenommenen Söhnen zeigte, schauten beide nur finster drein und Nisag sagte: »Auf die Weise, wie er seinen Weg in unsere Familie gefunden hat, so liebevoll soll er auch willkommen sein.«
Kokiduhasch, der diese Worte für die freundlichsten hielt, die man den beiden jungen Männern, die nicht seine leiblichen Söhne waren, abverlangen konnte, ließ es damit bewenden. Als ein Jahr später seine Tochter Ulal das Licht der Welt erblickte und er erneut vor Nisag und seinen Bruder trat, sprach Garanda: »Vater, ihre Schönheit zeigt schon jetzt, wer ihre Mutter ist und ihre Eindringlichkeit, wer ihr wahrer Vater sei.«
»Garanda, mir will scheinen, du neidest ihr die Schenkungen ihrer Eltern, aber so sollst du nicht denken. Euch beiden gab ich alles was ich liebe und teile es mit euch, wie es uns recht erscheint.«
Da schwiegen Nisag und Garanda.
Viele Jahre zogen ins Land und Ulal und Ragaba bekamen viele Geschwister, während Hiliaka wuchs und wuchs. Der Name der Stadt war wohlbekannt und wurde in einem Atemzug mit Wohlstand und Glück genannt. Als Kokiduhasch sein fünfzigstes Jahr feierte, saßen nicht weniger als siebzehn Sprößlinge auf seinem Schoß, hockten und spielten zu seinen Füssen oder aber sangen sein Ehrenlied. Für das selbe Jahr noch war Ulals Hochzeit angedacht und als Kokiduhasch mit dem Vater des Bräutigams zusammensaß, zu planen und sich den gegenseitigen Stolz zu erklären, das sagte jener miteins: »Wenn man sie zusammen sieht, ist es erstaunlich, wie ähnlich sich Ulal und Garanda sind. Jeder Blick und jede Geste, selbst das Lachen wie aus einem Guss.«
Kokiduhasch schaute auf seine Kinder und sprach: »Nisag und Garanda nahm ich nur an, doch sie liegen mir am Herzen, als wären sie mein Fleisch und Blut.«
»Umso erstaunlicher ist dies«, erwiderte sein Gegenüber.
Und so ungehörig Kokiduhasch diese Bemerkung auch fand, zum ersten Male fiel ihm auf, wie groß die Ähnlichkeit zwischen Ulal und Garanda war. Dies beschäftigte ihn Tag und Nacht und schon bald glaubte er auch eine Gleichheit zwischen Nisag und Ragaba zu entdecken. Sein Drittgeborener besaß schon jetzt die kräftige Statur eines Nordmanns – vielleicht eines Weldecen. Seine dritte Tochter war die eigentümlichste im Aussehen, besaß sie doch die starren Augen eines Daratheners. Und das zweitjüngste Kind hatte einen bronzefarbenen Hautton, der ein wenig an die Hautfarbe der Kartanier erinnerte. Nun geriet Kokiduhasch derart in Unsicherheit, dass er nach Hause eilte, um sein Weib Anahdee zur Rede zu stellen. Er lief durch die Straßen Hiliakas, wo man ihn grüßte und anlachte. Eben dieses Lachen erschien ihm nun irgendwie falsch und ausfallend, als wäre all die Freundlichkeit und Dankbarkeit aus den Gesichtern der Leute gewichen.
Daheim stieß er die Tür auf und fand Anahdee beladen mit Mannspack, vereint in Unzucht. Der Schreck saß tief und trennte die schamlose Gruppe, zu der auch Nisag und Garanda zählten. Kokiduhasch war voller Zorn und Ekel: »Was für eine Teufelei hielt ich behütet unter meinem Dach? Was erschlich mir Vertrauen und Zuneigung, um mich zu hintergehen und zu betrügen?«
»Das gefällt dir gut, mich der Arglist zu bezichtigen, doch du selbst bist es gewesen, der sich nicht nur die Mutter und die Frau ins Haus geholt, nein, auch die Hure namst du zu gleicher Münze«, sprach Anahdee und tat sanft mit ihren Worten, aber darunter war sie doch angegriffen.
»Wenn ich denn also die Schuld an diesem meinem schrecklichen Schicksal trage, dann will ich noch viel größere Schuld auf mich laden.«
»Das sollst du nicht tun, Kokiduhasch. Wir sollten Frieden schließen, und du allein sollst bis an mein Lebensende über mich bestimmen. Ich werde dieses Los annehmen.«
»Was für ein Los? Du nennst es ein Los, das es zu ertragen gelte?«, schrie Kokiduhasch, stürzte sich auf Anahdee und zog sie an den Haaren aus dem Haus. Entblößt wie sie war, zerrte er sie hinter sich her bis zum Brunnen der kleinen Stadt. Die Kinder folgten ihm, weinend und zeternd, die jüngsten auf den Armen der großen sitzend. Nisag und Garanda redeten beschwichtigend auf Kokiduhasch ein, doch der wollte nichts hören.
Man versammelte sich um ihn, um zu hören was der Herr der Stadt zu sagen hatte und wieso er sein Weib derart demütigte.
»Was für ein Narr ich gewesen, dass ich nicht erkannte, welch eine Abscheulichkeit hinter meinem Rücken getrieben wurde. Beispiellos ist der Betrug, der hier vonstatten ging, denn wer will jetzt noch trennen, was hier vereint worden ist? Sammler waren wir, und wahrhaft, meine Frau sammelte allen Samen, den sie kriegen konnte. Nun frag ich euch, wer erkennt unter all diesen Kindern seine eigenen wieder?« Damit endete Kokiduhaschs Anklage.
Keiner aber war unter dem Volk, der sich etwas zu sagen traute und so klang nur das leise Weinen von Frau und Kindern.
Da ergriff Garanda das Wort: »Recht tust du, uns anzuklagen, doch ein Übel ist wie Kraut, so oft du es auch schneiden magst, es wird immer wieder wachsen. Willst du das Übel aber für immer beseitigen, ziehe auch seine Wurzel.« Dann schaute er auf seine Ziehmutter und zeigte auf sie mit den Worten: »Wenn du sie tötest, tilgst du das Übel. Mit ihr kannst du tun, was du willst, das kann dir niemand verbieten. Aber Schande wirst du über dich bringen, wenn du an jemand anderes die Hand legst.«
»Derart spricht das Übel, dass es sich reinwasche, nachdem es andere bezichtigt. Nein, Garanda, Hand will ich nur an eines legen. Und es kann kaum mehr Schande über mich bringen, als ihr es bereits getan.« Er griff nach dem jüngsten Balg, hob es an einem Bein in die Höhe, zeigte es in die Runde, zog seine Sichel vom Gurt und teilte es in zwei Hälfte. Das Blut des armen Bündels verteilte er auf dem Pflaster des Brunnens, über all jene, welche die Abscheulichkeit verfolgten und über Anahdee, die bitterlich weinte und schrie, dass er nun das einzige seiner leiblichen Kinder getötet habe.
»Wer will das sagen, du Kebse«, antwortete Kokiduhasch und wandte sich nun den Leuten zu. »Euch aber traf jetzt alle das Blut eines Unschuldigen und damit will ich euch verfluchen. Fortan soll niemand mehr diese Stadt verlassen können, die ab heute den Namen Sulummar tragen wird, für die Schande, die ihr über euch und andere gebracht habt. Ihr selbst werdet keine eigenen Namen mehr tragen und sollt nur noch bekannt sein, als die "verlorenen Essenzen". Ihr werdet Masken aus Metall tragen, die euer Antlitz auf ewig verhüllen sollen. Von Geburt an werden sie eure Gesichter ersetzen. Ihr sollt nur leben von dem, was andere euch zukommen lassen, und alles andere wird in euren Mündern zu Asche – zu Staub, und das bis hin in alle Zeitalter. Bei allen Göttern ist dieser Fluch unauslöschbar, es sei denn, nur einer unter ihnen wird sich eurem Schicksal erbarmen. Dann sollt ihr ihm zum Danke ewiglich dienen.«
»Grausam bist du, Kokiduhasch, dass du alle hier verfluchst, selbst jene, die an dem Betrug nicht beteiligt gewesen sind«, zeterte eine der Frauen.
»Beteiligt waren alle, denn alle haben zugesehen oder es gewusst.«
»Aber Anahdee ist es doch gewesen, die alle verführte«, warf die Frau ein.
»Leicht ist es, die Schuld auf andere zu schieben, daher sind alle hier dem Fluche unterworfen, nur Anahdee nicht. Sie sei frei von allem und kann gehen, wohin sie will. Die verfluchte Stadt Sulummar wird Zeuge ihrer Schande sein.« Das waren Kokiduhaschs letzte Worte, er verließ die Stadt und wanderte fortan rastlos durch die Welt. Man sagt, er habe niemals mehr etwas gesammelt und nannte sich nur noch einen Jäger.
Überdies erzählte man sich lange von Sulummar und den verzweifelten Versuchen ihrer Bewohner, die verfluchte Stadt zu verlassen, aber es war ihnen nicht möglich. Wenn sie die Grenze der Stadt erreichten, fanden sie sich augenblicklich am Brunnen wieder. All ihre Kinder wurden mit metallernen Masken geboren, die sie nicht abzunehmen vermochten, ohne zu sterben. Sie litten Hunger, denn sie konnten nur essen, was Fremde ihnen brachten, doch nur wenige Reisende verschlug es in die verfluchte Stadt – aus Angst, man würde angefallen. Und in der Tat machte sich nach einigen Dekaden das Gerücht breit, die Verlorenen Essenzen ernährten sich von ihresgleichen oder Wanderern, die in die Stadt kämen. Von Anahdee sagte man sich, dass sie die Stadt verlassen, doch nach einigem Wege kehrtgemacht habe, um die Bewohner mit Speisen zu versorgen. Sie habe für den Rest ihres Lebens Nahrung nach Sulummar gebracht und wäre für alle Verfluchten wie eine Mutter gewesen. Irgendwann sei sie in der Steppe unter der Last ihres Gepäcks zusammengebrochen und gestorben. Wer aber je ihren Leichnam fände und darauf spucke, könne ihren Rucksack an sich nehmen und würde ewiglich aus ihm mit frischer Kost gespeist.