I. Von Hand, Zunge und Begierde

'... oft kostet es mich viele Wochen des Schweigens,
um mich von der Nutzlosigkeit der Worte zu erholen.'
– C. G. Jung –

Die riesige Keule traf den Stamm einer Weide und nicht mich. Ich sah die Splitter von der Rinde abplatzen und musste bereits wieder versuchen, mich aus der Reichweite des Trolls zu bringen. Meine Robe war dabei ausgesprochen hinderlich, denn sie erlaubte mir nicht die Beinfreiheit, um große Schritte machen zu können. Außerdem gab ich instinktiv Acht auf alle Gegenstände, die ich mit auf meine Reise genommen hatte, und die sich in Taschen und Beuteln an und in meiner Robe befanden.
Schon vernahm ich wieder das kehlige Geschrei des Trolls hinter mir. Ich rannte so schnell ich konnte, um Distanz zwischen mich und den Unhold zu bringen. Erneut spürte ich den Windzug der Keule, die mich nur knapp verfehlte. Verzweifelt versuchte ich näher an einen Baum zu kommen, in der Hoffnung, ihn schnell besteigen zu können. Zwar war ich noch nie ein großer Kletterer gewesen und hatte schon in meiner Jugend zumeist darin versagt, die hohen Buchen meiner Heimat zu erklimmen, aber eine andere Chance sah ich nicht, um mich für den Augenblick aus der unmittelbaren Gefahr des hungrigen Flusstrolls zu bringen.
Gerade kam ich in die Reichweite eines Baumes, der in sich sehr schief war und mir mit einem mächtigen, niedrig gewachsenen Ast geradezu eine Einladung auszusprechen schien, als ich bereits wieder die Nähe des Trolls hinter mir bemerkte. Irgendetwas erwischte ein Stück meiner Robe, deren Stoff einriss. Dabei war ich noch froh, dass dieses Etwas sich nicht in den Gurten all meiner Umhängetaschen verfangen hatte. Auf diese Weise hätte mich das Monstrum sehr leicht fangen können.
Noch während dieses Gedankens traf mich ein zweiter Schlag, der mich wieder nur streifte, dessen Wucht aber nichtsdestotrotz ausreichte, um mich ins Trudeln zu bringen. Ein Wimmern entfuhr mir. Ich wurde panisch. Meine Füße wollten nicht mehr den mir so wichtigen Rhythmus der Schrittfolge beibehalten, so dass ich ins Stolpern geriet.
Wenn ich jetzt fiel, war ich die erste Mahlzeit eines Flusstrolls, dem es vielleicht verleidet war, immer Fisch auf der Speisekarte zu haben. Ich fragte mich in diesem Moment, in dem ich bedenklich schwankte und schon die sumpfige Wiese auf mich zukommen sah, ob ein Troll als natürliches Geschöpf wohl auch dem Fluss für den gefangenen Fisch dankte, so wie wir Druiden der Dryade im Baum für den gepflückten Apfel; schließlich wollte man keinen Ärger. Doch indessen sollte es für mich ärger kommen.
Ich fiel. Der weiche, mit Nässe durchtränkte Boden gab zu sehr nach, und meine Füße fanden nicht die Festigkeit, so dass ich mit einem Mal das Gleichgewicht verlor. Ich riss die Arme nach vorn, in der Hoffnung mich auf alle Viere retten zu können.
Der Troll, der wahrscheinlich auch überrascht über meinen Sturz war, stieß gegen mich und grunzte dabei, zufrieden oder wütend, wer konnte das schon sagen. Im Augenwinkel nahm ich noch wahr, wie er seine Keule hob, um mir meine Widerspenstigkeit aus dem Schädel zu schlagen. Seine glänzende Haut war giftgrün wie frisches Gras, und seine großen Augen waren von dunklem Blau wie ein sommerlicher Nachthimmel. Das Gift, welches aus seinem Maul geiferte, sprühte auf mich herab, als ich mich halb herumwandte. Mit etwas Glück konnte ich dem Schlag noch entkommen. Glück. Irgendwann musste es mir einfach hold sein. Und der Augenblick war ausgesprochen richtig.
Ich rollte zur Seite und versuchte wieder auf die Beine zu kommen, da streifte mich die Keule an der Stirn. Selbst dieser Schlag reicht aus, um mich vollends ins wassergetränkte Gras der Wiese zu werfen. Der Schmerz war stark und trieb mir die Tränen in die Augen, doch er war zu ertragen. Ich war mir sicher, dass die Wunde blutete, denn es brannte und wurde feucht an meiner rechten Schläfe.
Eilends versuchte ich, wieder auf die Beine zu kommen, bevor es dem Troll gelingen konnte, den letzten Schlag zu führen. Ein Schwindel hakte sich mit einem heißen Trieb in mein Gehirn. Doch ich schaffte es irgendwie. Strauchelnden Schrittes lief ich in die Richtung, in der jener Baum stand, der sich mir bereits einmal angeboten hatte. Ich weiß nicht, wie ich es schaffte. Ich weiß nicht, weshalb der Troll nicht zur Stelle war, um mir den Garaus zu machen. Aber ich weiß, dass ich sein schauerliches Grunzen hören konnte. Und unterdessen spürte ich auch den rettenden Ast des Baumes, wie er sich stützend unter meine Arme klemmte, als wolle er mir in die Höhe helfen.
Schon jetzt war ich bereit, der Dryade dieser Weide zu danken.
Mit aller Kraft zog ich mich an dem quer hängenden Ast hoch, bemerkte dabei meine eigene Schwäche und wie meine nasse Robe an meinen Beinen klebte, und spürte den eisernen Griff des Trolls. Seine Kralle riss an meinen Taschengurten, und die Gewalt seiner Kräfte zog mich vom Ast weg. Doch ich ließ nicht los. Mit aller Kraft umschlang ich den Ast, während das Ungetüm knurrend an mir zog. Einige der Gurte rissen und die Taschen fielen wie Hoffnungen von mir ab.
Verzweifelt genug hangelte ich mich an dem Ast etwas in die Höhe und versuchte weiter zu klettern. Dann schlug die Keule des Trolls mit großer Wucht auf meinen Arm. Dieses Mal war der Schmerz atemberaubend. Er nahm mir schier den Verstand. Dennoch blieben meine Arme krampfhaft an dem Ast haften, und mit Tränen in den Augen versuchte ich mich erneut gegen die Kräfte des Trolls in die Höhe des Baumes zu ziehen.
Ich gewahrte, dass ich diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Trolle waren selbst für stolze Krieger unüberwindbar. Ihre einzigen Schwächen waren Feuer und Säuren, denn die Regenerationsfähigkeit eines Trolls fügte selbst abgeschlagene Körperteile nach Stunden wieder zusammen oder ließ sie schlicht und ergreifend nachwachsen. Zwar beherrschte ich einige Zauber der elementaren Essenzen, darunter auch die Magie des Feuers, jedoch hatte ich weder die Kraft noch die Konzentration, um mich auf die Geister und die Kräfte zu besinnen.
Zumindest nicht im Augenblick.
Die Kräfte verließen mich, und ich fiel wieder vom Baum ab, als sei ich eine faule Frucht. Sofort war der Troll über mir, um seine Ernte einzufahren. Ich versuchte mich noch aus seinem Bereich zu schieben, ruderte dabei mit den Armen, doch der weiche Boden ließ es einfach nicht zu und hielt mich mit klammer Schwere. Einige der von mir abgefallenen Beutel gerieten mir dabei in die Hände.
Und eine war die Tasche, in der ich meine Sämereien aufbewahrte. In Bruchteilen von Sekunden griff meine Hand hinein, ich erinnerte mich einer alten Regel aus meiner Lehrzeit, es kam nicht auf die äußeren Umstände an, sondern was man daraus machte, ich fühlte, wie die Samenkörner durch meine Finger perlten, ich griff hinein und hielt eine Hand voll gefasst. Stunden mochten derweil vergangen sein. Der Troll brüllte siegessicher, erhob seine beiden Stimmen zu einem schrillen Laut und fuhr mit seinen mächtigen Klauen auf mich zu, als wolle er dem Rad der Zeit mal ordentlich Schwung geben. Ich schrie auf, denn ich sah meinen Tod, zog aber dennoch die Hand aus dem Beutel und warf die Saat dem Troll ins Gesicht.
Nur die Hälfte der geworfenen Körner erreichte überhaupt den Unhold, doch seine lidlosen Augen wurden getroffen. Er heulte auf und warf sich herum.
Ich rappelte mich auf. Unendlich langsam kam mir das vor. Ich versuchte mich selbst anzutreiben, doch es gelang mir nicht, schneller zu werden. Es erschien mir, als sei ich gleich einem Insekt in Honig eingelegt und versuche mich vergeblich daraus zu befreien. Ein wütendes Gebrüll traf mich wie ein eiskalter Windzug. Wackelig kam ich auf die Füße und sprang mit letzter Kraft wie ein ungelenker Frosch an den Ast.
Mit den letzten bebenden Kräften schwang ich mich in die Höhe, während es mir wie ein Wunder vorkam. Ich lachte sogar kurz auf, als ich mich auf den Ast legte und ihn hinaufkrabbelte. Die Schmerzen brannten jetzt auch in der Schulter, und die Hand wurde steif und taub. Ich biss die Zähne zusammen und robbte höher.
Das Laub umgab mich, und ich roch den friedlichen Geruch der Rinde und der Blätter. Von unten hörte ich das Geschrei des Trolls. Und genau da erzitterte der Baum, so dass ich befürchtete, ein Troll könne ein weitaus besserer Kletterer als die Kameraden meiner Lehrzeit sein. Ich versuchte, noch höher zu klettern, bis mir schließlich die meisten Äste zu dünn anmuteten, um ihnen mein Gewicht anzuvertrauen.
Gehetzt schaute ich hinunter. Der Troll kletterte keinesfalls in die Höhe. Wahrscheinlich dachte er, weshalb soll ich mir die Mühe machen, wenn ich den Baum brechen oder das Opfer herunterschütteln kann. Deshalb schlug er gegen den Stamm, ob mit seiner Keule oder dem Gewicht seines massigen Körpers, wusste ich nicht zu sagen. Das Laub und die Schatten des Abends, die bereits in der Baumkrone nisteten, nahmen mir die Sicht. Was mich allerdings auch erleichterte, denn ich hatte genug von dem ekligen Ungetüm, dass nach altem Fisch stank und sich nur an meinem Fleisch laben wollte.
Keuchend begann ich zu lächeln, denn ich war mir nun sicher, dass ein Troll niemals dem Fluss für seinen gefangenen Fisch danken würde. Nass wie ein Stück Wäsche hing ich über einem Ast und legte meinen Kopf auf die graubraune Rinde. Fast kam es mir wie ein Bett vor, so wohlig war die trügerische Ruhe nach den Anstrengungen der letzten Minuten. Selbst wenn der Baum von Zeit zu Zeit unter den Schlägen des tobenden Flusstrolls erzitterte, war das geradezu beschaulich.
Mir war klar, dass ich mich nicht in Sicherheit wähnen konnte, denn wer wusste schon, was sich das Monstrum einfallen lassen würde, um doch noch zu seiner Mahlzeit zu kommen. Aber zumindest konnte ich eine Weile meine Kräfte und Gedanken sammeln, um vielleicht doch noch entkommen zu können.
Schon zum unzähligsten Male verfluchte ich meine Reise. Was war das nur für ein unsäglicher Fluch, der seit Beginn über meiner Expedition zu lasten schien. Banditenüberfälle und kaltes, feuchtes Wetter waren dabei noch die geringeren Übel gewesen. Längst wunderte ich mich nicht mehr über ganzjährige Regenfälle, plötzliche Wintereinbrüche im Frühjahr, oder Stürme, die ganze Landstriche verwüstet hätten, wenn dort mehr als nur Hügel und Gräser vorhanden gewesen wären. Seit den Monaten meiner Suche nach jenem einen Sumpf hatte ich mich an jedwede Beschwernis gewöhnt und musste schließlich feststellen, wie schwierig es war, einen bestimmten Sumpf in einer Landschaft zu finden, die sich in den vergangenen sieben Jahrzehnten durch die Wetterbedingungen gänzlich in eine Sumpflandschaft verwandelt hatte. Mehr als eine grobe Richtungsangabe und eine Beschreibung jenes eigenartigen Ortes besaß ich nicht. Und das war nicht viel in den Ländereien, die von der Göttin Medoreigtulb geläutert worden waren.
Ungastlich war diese Gegend, so jungfräulich die Natur auch überall war, so sehr schien mir auch ihre Mannigfaltigkeit abhanden gekommen zu sein. Pflanzenwelt und Tiergattungen waren in ihrer Vielfalt derart beschränkt, dass einem unweigerlich der Gedanke kommen musste, die Göttin hänge möglicherweise einer befremdlichen Neigung zu Weiden und Trollen nach.
Mein Exemplar fauchte und brüllte noch immer am Fuß des Baumes, so dass ich mich daran erinnert fühlte, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich diesem Dilemma zu entkommen vermochte. Dazu versuchte ich mich aufzurichten und mich ein Stück näher an den Stamm zu bringen, was zwar gelang, doch nicht ohne Geräusche zu verursachen, die den Troll wieder schmerzlich daran erinnern mussten, dass der Baum ihn seiner Mahlzeit beraubt hatte. Tobend schrie er und donnerte gegen den Stamm. Als ich in einer sitzenden Position meine Beutel zu durchforsten begann, erbebte der Baum und raschelte mit seinem Laub, als protestiere er gegen diese Zerstörungswut.
Ich hatte einen Beutel und zwei Taschen verloren. Dadurch waren mir die Sämereien, das wertvolle Sanguis Draconis und einiges an Räucherwerk – darunter der nicht minder edle Stechginster – abhanden gekommen. Die Tasche mit den Heilkräutern hatte ich noch immer.
Nun krempelte ich den verschmutzten Ärmel meiner ehemals weißen Robe in die Höhe, um mir den versehrten Arm anzusehen. Er war am Oberarm aufgeplatzt, blutete aber kaum. Ein dunkler Fleck zeichnete sich dort ab, wo die Keule ihn getroffen hatte, und bei Licht betrachtet würde er blaurot aussehen. Die Wunde an meiner Stirn war angeschwollen und Haut schien abgeschürft, so dass Wundwasser ausgetreten war. Also suchte ich nach dem kleinen Fläschchen mit der Tinktur aus Ringelblume, die zur Behandlung von offenen Wunden ausgesprochen geeignet war. Als ich mich damit vorsichtig eingerieben hatte und einen Moment verschnaufte, um einen klaren Kopf zu bekommen, kam es mir schon fast wie eine Farce vor, dass es ausgerechnet Weiden waren, die hier überall vereinzelt wuchsen. Weiden wohnten mystische und heilende Kräfte inne, und sie wurden deshalb sehr von den Druiden geachtet.
Doch was sollte ich nun mit dem Troll anfangen? Ein offener Kampf hatte keinen Sinn. Zu warten, bis er mich vielleicht vergessen oder aufgegeben hatte, konnte eine ebenso missliche wie auch aussichtslose Lage nach sich ziehen – ich würde irgendwann verdursten und verhungern. Ein Ablenkungsmanöver war meine einzige Chance. Ich musste ihn von hier weglocken, um die Zeit gewinnen zu können, die ich brauchen würde, um eine sichere Distanz zwischen mich und den Troll zu bringen. Aber was war eine sichere Distanz zwischen einem hilflosen Elf und einem hungrigen Troll? Nun, ich hoffte, dass Flusstrolle nicht so gut die Witterung eines Opfers aufnehmen konnten, wie es beispielsweise Stein- und Waldtrolle vermochten.
Meine Feuerzauber waren durchaus effektiv genug, um den Troll wirklich töten zu können, jedoch musste ich mir eingestehen, dass ich mich einem Troll weder im Reaktionsvermögen noch in der schlichten Gewalt gewachsen fühlte. Ich war nie ein Kämpfer gewesen, und Gewalt war mir ohnehin zuwider.
Ich hätte Tiere herlocken können, damit jene ihn ablenken konnten, jedoch hielt ich es für ausgesprochen feige, mein Leben auf Kosten anderer auszulösen. Es reichte schon, wenn ich das Leben des Baumes gefährdete.
Mir fiel allerdings auch nichts anderes ein, was den Troll abgelenkt hätte. Feuergeister und Flammenkinder mochten zwar einen Schrecken und den einen oder anderen Schaden bei dem Ungetüm verursachen, jedoch würde dieser versuchen, es auszukämpfen, und wenn er gewann, war er noch weitaus bösartiger. Nichts war schlimmer als ein hungriger Troll – ausgenommen ein hungriger, verletzter Troll.
Da erschütterte ein gewaltiger Schlag des Monstrums den Baum und ein Knirschen erklang. Ich fühlte mit der Weide und erkannte, dass sie angeschlagen war. Ich musste schnell etwas unternehmen, wenn ich sie nicht opfern wollte. Und in dieser Bedrängnis überlegte ich mir, dass sich vielleicht statt einer Ablenkung des Trolls eine Art Bindung als klüger erweisen mochte.
Vorsichtig, um keinen Sturz zu riskieren, der mich direkt vor die Füße des Gegners bringen würde, ließ ich mich wieder hinab und suchte dabei stets nach den Ästen, die mich weit genug von dem Troll wegbrachten. Leider war die Sicht aber auch schon schlecht, denn der Abend ließ mit seinen Schatten die Farben des Tages ergrauen. Trotzdem gelang es mir, tief hinunter zu kommen und gleichwohl nicht auf der Seite des Trolls zu landen. Seine giftgrüne Farbe leuchtete selbst jetzt noch bissig durch das Laub und machte ihn im Halbschatten gut sichtbar. Und sehen musste ich ihn schließlich, wenn ich ihm nun Schwierigkeiten bereiten wollte. Er ackerte unablässig und warf sich gegen den Stamm.
Ich aber ging für einen Augenblick in mich und verstärkte meine Energiefelder. Mit einer Hand malte ich den Trilith in die Luft, ein Symbol, das wie ein eckiges Portal aussah und für die Vorstellung von 'Schoß und Grab' stand, für die Erdmutter, die uns gebiert und deren dunkles Fleisch uns wieder aufnimmt, wenn wir sterben. Dann streckte ich die Hand in das Symbol, als wolle ich mir darin etwas geben lassen; stattdessen schloss ich die Hand und zog sie mit einer Geste zu mir, die wie ein Heranwinken wirken musste.
Unter dem Troll öffnete sich mit einem Mal eine metertiefe Grube. Die Erde aus dem tiefen Maul hob sich wie eine Flutwelle in die Höhe, wurde rund und groß wie der Baum, um danach wieder in das Loch, in welches der schreiende Troll abgesackt war, zu fallen. Einstweilen war das Monstrum unter Massen feuchten Erdreiches begraben.
Jetzt war mein Moment gekommen. Ich sprang vom Baum herunter und lief in den Sumpf hinaus. Aufgrund des feuchten und weichen Untergrundes war es beschwerlich und kräfteraubend, sich laufend fortzubewegen. Jedoch lief ich um mein Leben, denn ich wusste, dass sich hinter mir der Troll aus dem Grab freischaufeln würde. Und wenn er erst die Witterung aufgenommen hatte, musste ich genug Abstand zwischen ihn und mich gebracht haben. All der Müdigkeit und Erschöpfung zum Trotz trieb ich mich weiter, bis meine Lunge schmerzte und um das Doppelte angeschwollen schien. Mein Speichel war heiß und zäh, so dass er sich nicht von mir trennen wollte, wenn ich ihn auszuspeien versuchte.
Mittlerweile war alles in dem zu dieser Jahreszeit typischen bläulichen Zwielicht der Nacht versunken. Klammer Dunst stieg aus den Hügeln hervor und es war leichtsinnig, schnell zu laufen. Bäume und Unebenheiten im Boden waren manchmal schwerlich auszumachen, und nicht selten fiel ich in eine Senke, aus der mir kaltes Wasser entgegen spritzte. Ich wagte mir nicht auszumalen, was geschah, wenn ich in eine der gefährlichen Schlenken fiel.
Bald war ich so erschöpft, dass ich an einem Baum halt machte und mit dem Gedanken spielte, in seiner Krone zu nächtigen. Andererseits konnte ich später erwachen und mich wieder in der gleichen misslichen Lage befinden, wenn ich es dem Troll erst ermöglichte, aufzuholen. Ich musste daher weiter, also wandte ich mich nach vorn und stieß urplötzlich vor den breiten Wanst einer dunklen Gestalt.

* * *

Erschrocken machte ich einen Satz zurück. Zwar hatte ich an dem Geruch nach Leder und Schweiß gleich erkannt, dass es sich nicht um den Troll handelte, aber was ich vor mir sah, versetzte mich dennoch in Unruhe. Es war eine riesige, feiste Gestalt mit bläulicher Haut. In dem fülligen Gesicht stand ein milchiges Auge wie ein Mond am nächtlichen Himmel. Jedoch war es ein feindlicher Trabant.
Ich atmete tief durch, denn ich spürte eine ungeheure Belastung auf dem Gemüt. Zwar schien ich am Ziel zu sein, wenn ich schon auf einen Zyklopen traf, allerdings kam mir dieser Kerl keineswegs wohlgesonnen vor. Und diese Befürchtung bewahrheitete sich sogleich, da der Zyklop ein riesiges, schartiges Breitschwert zog und zu knurren begann, dass er mir wie ein bissiger Hund vorkam.
»Friede, Großer, ich bin kein Feind«, sagte ich.
Er aber knurrte nur und hob sein Schwert, um zuzuschlagen.
»Ich war auf der Suche nach der Stadt Innocenz. Ich muss zu Fürst Adulator.«
Jetzt brüllte der Zyklop auf und schlug zu. Ich tauchte zur Seite weg. Die riesige Klinge hieb in den Boden, Gras und Erde stoben in die Höhe und der Zyklop dröhnte wie ein Gewitter.
Ich rannte in irgendeine Richtung und spürte dabei die vergangenen Anstrengungen wie ein eisernes Ziehen in meinen Muskeln. Einen weiteren Kampf und eine erneute Flucht würde ich kaum schaffen. Deshalb drehte ich mich nach einigen Schritten wieder um, sah wie der Zyklop auf mich zustürmte und formte eilendst das Symbol des Drachenhorns mit meinen Händen. Ich legte die Fingerkuppen aufeinander und hielt die Handballen weit voneinander entfernt, bis es einen Keil darstellte, der für die Flamme stand, die ich zu beschwören gedachte. Mit einer schnellen Bewegung rieb ich die eine Hand an der anderen und ließ sie in die Richtung des Zyklopen, der schon nah heran war, gleiten.
Der schrie mit einem Mal vor Schmerz auf und ließ sein Schwert los, weil es sengend heiß geworden war. Wahrscheinlich hatte er seine Hände verbrannt, denn er war stehen geblieben, stierte in seine Handflächen und stöhnte.
Mein Atem ging schwer, während ich abwartete, ob der Einäugige vorhatte, mich erneut zu attackieren. Im Moment sah es nicht danach aus.
»Verstehst du meine Sprache nicht?«, fragte ich und benutzte dabei weiter die Weltsprache, die an sich auch Zyklopen geläufig war.
»Doch, aber ich werde dich meine lehren, du Hund«, knirschte er und funkelte mich an.
»Lass mich in Ruhe. Lass mich gehen«, forderte ich, und als er nichts erwiderte, wagte ich einen Vorstoß, indem ich nach Innocenz fragte. »Kennst du die Stadt? Sag mir, wo ich sie finde.«
»Du hast dort nichts verloren.«
»Vielleicht doch.«
»Sterben kannst du auch gleich hier«, fauchte der Zyklop zurück.
»Ich habe das weder hier noch dort vor. Und ich bitte dich, mir zu helfen. Wenn der Fürst Adulator dein Lehnsherr ist, dann solltest du mich zu ihm bringen.«
Der Zyklop sah mich an, schien abzuschätzen, wie meine Belange oder Absichten sein mochten. Und er war unschlüssig, das konnte man ihm deutlich ansehen.
»Was glaubst du, könnte dich vor dem Tod bewahren? Deine Sprüche werden dir nicht helfen. Deine Götter werden dir nicht helfen. Nicht einmal Waffen oder Armeen könnten dir hier helfen.« Er lachte auf, und es klang irrsinnig.
»Es liegt ein Fluch über deinem Lehnsherrn und über seiner Stadt. Ich weiß das, aber genau aus diesem Grund bin ich hier«, sagte ich.
Jetzt wurde sein Gelächter laut und war gefährlich nah daran, zu einem Schmerzensschrei zu werden. »Mein Lehnsherr? Mein Lehnsherr? Was für ein Dummkopf du bist.« Sein Hohn klang befremdlich. »Der Tod ist niemandes Lehnsherr und doch der eines jeden Sterblichen. Am Anfang dachten wir, dass wir ihm Untertan seien, heute wissen wir es besser. Wir wissen es besser. Und du hast hier nichts verloren, wenn du leben willst.«
»Ich muss zum Fürsten.«
»Ach ja, ihr Elfen fürchtet den Tod ja nicht. Ihr glaubt zu wissen, was danach kommt«, spottete er und suchte mit den Blicken nach seinem Schwert.
»Das stimmt nicht ganz. Wir fürchten den natürlichen Tod nicht. Den gewaltsamen Tod fürchten wir sehr wohl«, sagte ich und fühlte mich plötzlich an einem wunden Punkt berührt.
»Aber nichts anderes wirst du hier finden«, knurrte der Zyklop und stürzte sich auf seine Waffe, die inzwischen auch erkaltet sein musste. Dann fuhr die gewaltige Klinge singend in die Höhe, und der Zyklop kam blitzschnell über mich.