altKriecher, Volly Tanner - Morgana

Es ist dunkel, feucht und angenehm ...

(Buchrezension Kriecher & Adulator aus dem De Joco Suae Moechae Zyklus)

Und wenn es in den sumpfigen, dunklen Wäldern schauert, unheimliche Gestalten die kaum noch sichtbaren Pfade entlang schleichen und der Untergang aller Zeiten anbricht, dann, ja nur dann, kriecht aus dem geschichtengewordenem Unterholz so manche schwarze literarische Perle und erfreut mein leidgeprüftes Rezensentenherz.

Ich habe viel gelesen, in letzter Zeit, ich habe Schmerzen gespürt, unsinnige Wortkombinationen schrien förmlich danach, meinen, dem Mißbrauch von allem möglichen geschuldetes Magenkrebsrisiko zu erhöhen und dann das: der kleine, seine Bücher in einer 999er Auflage publizierende BLITZ-Verlag aus Windeck schickte mir zwei erhabene Werke aus dem „De Joco Suae Moechae“ Zyklus – den ersten Teil „Kriecher“ und den darauf folgenden „Adulator“, des Marc-Alastor E.-E. (der ausführende Satzjongleur firmiert nun mal unter diesem Namen).

Ein sich wandelndes Wesen, schuldbeladen und mißbraucht von einer gottgleichen sexuell-mystischen und umstürzlerischen Erhabenheit. Die Zeiten ändern sich, Völker werden hinweg gefegt, das Ende der Etappen stolpert über den Abhang und hinter allem lauert ein ewiges Nichts. Kämpfe werden ausgefochten. Strukturen bilden sich, um im nächsten Moment ausradiert und in die Kloake eines einzigartigen Universums getrampelt zu werden. Hier hat Marc-Alastor E.-E. eine Welt geschaffen, die in ihrer sprachlichen Grazie die Tür aufschlägt, um den Leser in sich aufzusaugen und nie wieder herauszulassen. Ein Held der gebrochen am Boden liegt, das Damoklesschwert seiner unmäßigen Schuld über sich schwebend sehen und trotz allem mitentscheidend am Fortgang der Entwicklung. Ein Zwitterwesen, unfassbar in seinem Leid – gestrauchelt und immer wieder negierend, so unsympathisch sympathisch, so wahr, wie der im Sonnenlicht weich und schlierig werdende Pech und genau das ist er, Pech und Torf und Tod und Geist.

In der Welt des Marc-Alastor E.-E. scheint keine Sonne, in dieser Welt gibt es keinen Popdiskurs und kein Vanilleeis, die Frage nach der zur Bikinizone passenden Schamfrisur stellt sich garnicht – es geht ums Überleben, grausam wird gemetzelt, bestialisch zerfetzt und rohes, stinkendes Sperma verspritzt. Die Instinkte regieren, unfähig über ihre Schatten zu springen vegetieren die Bewohner dieser Schöpfung zwischen fressen und gefressen werden, nehmen und genommen werden. Tief drinnen ist es kalt, nur klitzekleine Fünkchen Liebe und Gefühl versuchen den morschen und vertrockneten Haufen Leben zu entzünden. Dunkel, wie im Bärenarsch, modrig und zerfallend.
Viele Figuren sammeln sich zur Beschreibung durch den Dichter an der Weltengrenze und dieser wühlt in ihren Geschichten, voller Inbrunst und sprachgewaltig mit einem kaum endenden Wortschatz, lyrisch bis zur Schmerzgrenze.
Marc-Alastor E.-E. hat einfach all die schnuckeligen, liebevollen Elemente aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ in den großen Kotkübel geworfen, hier und dort den häuserzerfressenden Schwamm aus den mitteldeutschen Großstadtbehausungen gekratzt und über sein Universum geträufelt.

Ja – ich bin begeistert, so wie selten, höchstens, wie beim ersten Anhören der Hotelzimmer Inferno Aufnahmen. Hier bricht eine widerborstige Schönheit durch das graue Einerlei des Literaturbetriebs, eine Pflanze, die in ihrer modernden Kraft kein Sonnenlicht braucht, um die Herzen zu erfreuen.

Wüst und brutal, doch herzzerreißend lebendig – endlich wieder Sprache!

Ich scharre mir die Knie wund auf meinem Gebetsteppich, ich schwitze, ich heule Rotz und Wasser. Blut tritt unter meinen Fingernägeln hervor, während ich an der Tür zu dieser Welt kratze. Vergessen sind die kleinen Verwerfungen unseres Daseins, kleine kindliche Zickereien, ob die jungen Damen von den Lipsticks wirklich Musik machen können oder ob aus dem Literaturinstitut sinnvolle Geschichten entstehen, ob hiesige Schriftsteller noch etwas zu sagen haben, Ideen und Visionen – alles völlig egal, wenn die mordenden und wutschnaufenden Dekapoden mit schrillem Gekreische vor den Nekromanten fliehen.
Weil es nicht um Hartz IV geht oder irgendeine verfickte Fernsehsendung am Massengefühl kratzt, nein, es geht um Alles, es geht um das einzig Wahre – das dreckige, einzigartige Leben, um Hunger und Schmerz und Schweiß und Blut.

Danke, das es solche Bücher gibt und das es weitergeht, im dritten Teil der Saga, wenn die Geisterdrache-Welt zu Papier geworden meiner Kommunikation mit der Außenwelt einen Riegel vorschiebt und meinen Telefonhörer automatisch von der Gabel rutschen läßt, damit nichts komme, zwischen mich und diese Bücher ...

Volly Tanner,
morgana 13/14 in der rubrik TITEL, THESEN,
TOTALAUSFÄLLE, BUCHREZENSIONEN AUS VOLLY TANNERS LESESESSEL